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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Nebelschleier, dass es hier um echte Kinder geht. Sie haben Schmerzen. Ich behaupte nicht, alle Kinder wären wundervoll. Ganz im Gegenteil. Manchmal behandele ich welche, von denen ich weiß - hundertprozentig weiß -, dass aus ihnen nichts Gutes wird. Andererseits sind sie alle hilflos. Sie sind schwach und wehrlos. Sie können mir glauben, dass ich Dinge gesehen habe, die Sie den Glauben an die Menschheit verlieren lassen würden.
    Also konzentrierte ich mich ganz auf die Kinder.

    Eigentlich hatte ich nur bis Mittag Dienst, doch zum Ausgleich für meinen FBI-Ausflug blieb ich bis drei. Natürlich musste ich den ganzen Tag an das Verhör denken. Die Fotos der geschundenen, bedrückten Elizabeth flackerten immer wieder vor meinen Augen auf wie Blitze eines surrealen Stroboskops.
    Wer könnte von diesen Bildern gewusst haben?
    Nachdem ich etwas darüber nachgedacht hatte, war es ganz offensichtlich. Ich beugte mich vor und griff zum Telefon. Ich hatte diese Nummer seit Jahren nicht mehr gewählt, kannte sie aber noch immer auswendig.
    »Foto-Atelier Schayes«, meldete sich eine Frauenstimme.
    »Hi, Rebecca.«
    »Heiliger Strohsack. Wie geht’s dir, Beck?«
    »Gut. Und dir?«
    »Kann nicht klagen. Hab reichlich zu tun.«
    »Du arbeitest zu viel.«
    »Die Zeiten sind vorbei. Ich habe letztes Jahr geheiratet.«
    »Ich weiß. Tut mir Leid, dass ich nicht kommen konnte.«
    »Quatsch.«
    »Hast ja Recht. Trotzdem herzlichen Glückwunsch.«
    »Warum rufst du an?«
    »Ich muss dich was fragen«, sagte ich.
    »Hmh.«
    »Wegen des Autounfalls.«
    Ich hörte ein leichtes blechernes Echo. Ansonsten war es still.
    »Erinnerst du dich noch an den Autounfall? Kurz vor Elizabeths Tod?«
    Rebecca Schayes, die beste Freundin meiner Frau, antwortete nicht.
    Ich räusperte mich. »Wer ist gefahren?«
    »Was?« Das war nicht an mich gerichtet. »Okay, einen Moment.«
    Dann wieder ins Telefon. »’tschuldige, Beck, ich muss hier eben was erledigen. Kann ich dich gleich zurückrufen?«
    »Rebecca …«
    Aber die Leitung war schon tot.

    Die Wahrheit über Tragödien: Sie sind gut für die Seele.
    Tatsache ist, dass ich aufgrund der Tode ein besserer Mensch geworden bin. Als Silberstreif am Horizont ist das zugegebenermaßen etwas dünn. Aber so ist es nun einmal. Das heißt nicht, dass es sich lohnt oder dass es gar ein fairer Tausch wäre oder so etwas, aber ich weiß, dass ich ein besserer Mensch bin als früher. Ich habe ein feineres Gespür für die Dinge, die wichtig sind. Ich kann mich besser in die Leiden anderer Menschen einfühlen.
    Es gab eine Zeit - heute klingt das lächerlich -, da habe ich mir Gedanken darüber gemacht, in welche Clubs ich eintreten sollte, was für ein Auto ich fuhr, welches College-Abschlusszeugnis bei mir an der Wand hing - diese ganzen blödsinnigen Statusfragen. Ich wollte Chirurg werden, um andere Menschen zu beeindrucken. Ich wollte so genannten Freunden imponieren. Ich wollte eine große Nummer sein.
    Wie ich schon sagte, lächerlich.
    Sie könnten dagegenhalten, dass diese Entwicklung einfach eine Frage der Reife ist. Da ist etwas dran. Ein nicht unerheblicher Teil der Veränderung beruht auch darauf, dass ich jetzt allein bin. Elizabeth und ich waren ein Paar, ein zusammengehöriges Ganzes. Sie war so gut, dass ich es mir leisten konnte, nicht ganz so gut zu sein - als würde ihre Güte uns beide veredeln, als würden wir uns in einer Art kosmischer Balance die Waage halten.
    Der Tod ist trotzdem ein großer Lehrmeister. Nur viel zu streng.
    Leider kann ich Ihnen jetzt nicht mitteilen, dass ich durch die Tragödie eine große, unumstößliche, das Leben der Menschen verändernde Weisheit entdeckt habe, die ich Ihnen hier verkünden kann. Nichts zu machen. Nur die üblichen Klischees - das Wichtigste im Leben sind Freunde, das Leben ist kostbar, das Streben nach Besitz wird überbewertet, die kleinen Dinge im Leben zählen, man muss für den Augenblick leben -, ich kann sie Ihnen bis zum Erbrechen aufsagen. Womöglich würden Sie mir sogar zuhören, zu Eigen machen würden Sie sich das jedoch nicht. Tragödien bläuen es einem ein. Tragödien ätzen es einem in die Seele. Sie werden davon nicht glücklicher. Aber Sie werden ein besserer Mensch.
    Der Gipfel der Ironie ist allerdings, dass ich mir oft wünschte, Elizabeth könnte mich jetzt sehen. So sehr es mir auch entgegenkommen würde, glaube ich doch weder, dass die Toten über uns wachen, noch an andere, ähnlich tröstliche Konstruktionen,

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