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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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hatte dieselben Symptome gezeigt wie TJ.
    Niemand hatte dem Vater Handschellen angelegt.
    Ich ging also zu Tyrese hinüber. Er starrte mich mit finsterem Ghettoblick an. Auf der Straße hätte er mich damit einschüchtern können. Hier war es, als versuche der große böse Wolf das Steinhaus umzupusten. »Wurde Ihr Sohn in diesem Krankenhaus geboren?«, fragte ich.
    Tyrese antwortete nicht.
    »Wurde Ihr Sohn hier geboren, ja oder nein?«
    Er bekam sich so weit in den Griff, dass er ein »Yeah« herausbekam.
    »Wurde er hier beschnitten?«
    Tyrese intensivierte das Starren. »Bist du so’ne Art Schwuler oder was?«
    »Gibt’s da mehr als eine Art?«, gab ich zurück. »Wurde er hier beschnitten, ja oder nein?«
    Widerwillig grunzte Tyrese: »Yeah.«
    Ich fand TJs Sozialversicherungsnummer und gab sie in den Computer ein. Seine Daten erschienen auf dem Monitor. Ich suchte nach der Beschneidung. Normal. Verdammt. Doch dann entdeckte ich noch einen Eintrag. TJ war nicht zum ersten Mal im Krankenhaus. Im Alter von zwei Wochen hatte sein Vater ihn wegen einer Nabelblutung hergebracht.
    Merkwürdig.
    Darauf hatten wir ein paar Bluttests durchgeführt, wobei die Polizei darauf bestanden hatte, Tyrese währenddessen festzuhalten. Ihm war das egal. Er wollte nur, dass die Tests gemacht wurden. Ich versuchte, das Ganze zu beschleunigen, habe aber - wie die meisten Menschen - keine Macht in dieser Bürokratie. Trotzdem bestätigte das Labor anhand der Blutproben, dass die partielle Thromboplastinzeit verlängert war, Quick-Wert und Thrombozytenzahl jedoch im normalen Bereich lagen. Ja, schon gut, aber gedulden Sie sich.
    Meine Hoffnungen - und Befürchtungen - bestätigten sich. Der Junge war nicht von seinem in ein klassisches Ghetto-Outfit gekleideten Vater misshandelt worden. Der Grund für die Netzhautblutungen war Hämophilie. Außerdem war der Junge dadurch erblindet.
    Die Leute vom Sicherheitsdienst seufzten, nahmen Tyrese die Handschellen ab und verschwanden wortlos. Tyrese rieb sich die Handgelenke. Keiner entschuldigte sich bei ihm oder fand ein Wort des Mitleids für den Mann, den man zu Unrecht beschuldigt hatte, seinen nunmehr blinden Sohn misshandelt zu haben.
    Stellen Sie sich mal vor, was in den reichen Vororten los gewesen wäre.
    Seitdem ist TJ mein Patient.
    Jetzt stand ich im Krankenhauszimmer, streichelte TJ über den Kopf und sah in seine blinden Augen. Normalerweise sehen Kinder mich mit ungetrübter Ehrfurcht an, einer Mischung aus Furcht und Verehrung. Meine Kollegen glauben, dass Kinder besser als Erwachsene verstehen, was mit ihnen geschieht. Ich glaube, es ist wahrscheinlich viel einfacher. Kinder halten ihre Eltern gleichzeitig für furchtlos und allmächtig - und plötzlich stehen diese Übermenschen da und sehen mich, den Doktor, mit einem angsterfüllten Verlangen an, das normalerweise der religiösen Ekstase vorbehalten ist.
    Was könnte für ein kleines Kind Furcht einflößender sein?
    Ein paar Minuten später schloss TJ die Augen. Er schlief ein.
    »Er ist bloß gegen den Türrahmen gelaufen«, sagte Tyrese. »Weiter nichts. Er ist blind. Da passiert so was schon mal, oder?«
    »Er muss über Nacht hier bleiben«, sagte ich. »Aber dann ist alles wieder okay.«
    »Und wie?« Tyrese sah mich an. »Wie soll alles okay sein, wenn er nicht aufhören kann, zu bluten?«
    Ich wusste keine Antwort.
    »Ich muss ihn da rausholen.«
    Er meinte nicht das Krankenhaus.
    Tyrese griff in die Tasche und fing an, Scheine von einer Rolle zu schälen. Ich war nicht in der Stimmung dafür. Also hob ich eine Hand und sagte: »Ich komm später wieder.«
    »Danke fürs Kommen, Doc.«
    Ich wollte ihn schon daran erinnern, dass ich wegen seines Sohnes gekommen war, nicht seinetwegen, behielt es dann aber doch lieber für mich.

    Vorsichtig, dachte Carlson mit rasendem Puls. Ganz, ganz vorsichtig.
    Die vier - Carlson, Stone, Krinsky und Dimonte - saßen mit dem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt Lance Fein am Konferenztisch. Fein, ein ehrgeiziges Wiesel mit ständig wogenden Augenbrauen und einem so wächsernen Gesicht, dass man befürchten musste, es würde bei großer Hitze zerschmelzen, setzte sein Pokerface auf.
    Dimonte sagte: »Lochen wir den Wichser ein.«
    »Noch einmal«, sagte Lance Fein. »Stellen Sie es so dar, dass sogar Alan Dershowitz ihn wegsperren würde.«
    Dimonte nickte seinem Partner zu. »Fang an, Krinsky. Besorg’s mir.« Krinsky zog seinen Notizblock aus der Tasche und fing an

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