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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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die Beine, eins nach dem anderen. Sie wurden steif und schwer, als fingen Muskeln und Bänder an zu versteinern. Ich war nicht in Form. Rotz lief mir aus der Nase. Er vermischte sich mit dem Dreck, der sich auf meiner Oberlippe angesammelt hatte, und lief mir in den Mund.
    Ich wechselte immer wieder die Straßenseite, als könnte ich die Polizei dadurch verwirren. Dabei drehte ich mich nicht um und sah nach meinen Verfolgern. Ich wusste, dass sie hinter mir her waren. Die Sirenen und das Rauschen verrieten es mir.
    Ich hatte keine Chance.
    Ich lief durch Viertel, in die ich mich normalerweise nicht einmal mit dem Auto getraut hätte. Ich sprang über einen Zaun und rannte durch das hohe Gras auf einem Gelände, das wohl mal ein Kinderspielplatz gewesen war. Man hörte immer von steigenden Baupreisen in Manhattan, aber hier, in der Nähe des Harlem River Drive, gab es unbebaute Grundstücke voll Scherben und rostigen Überresten von Schaukeln, Klettergerüsten und Dingen, die vermutlich einmal Autos gewesen waren.
    Vor einem Hochhauskomplex mit Sozialwohnungen beäugte mich eine Gruppe schwarzer Teenager in Gangsta-Pose und den zugehörigen Klamotten wie einen leckeren Nachtisch. Irgendetwas hatten sie vor - ich wusste nicht, was -, bis sie merkten, dass die Polizei hinter mir her war.
    Sie begannen, mich anzufeuern.
    »Lauf, Milchgesicht, lauf!«
    Ich nickte ihnen kurz zu, als ich vorbeisauste, ein Marathonläufer, dankbar für jede Unterstützung von den Zuschauern. Einer schrie: »Diallo!« Ich rannte weiter, doch ich wusste natürlich, wer Amadou Diallo war. Jeder in New York wusste das. Er war von 41 Polizeikugeln durchlöchert worden - und er war unbewaffnet gewesen. Im ersten Moment dachte ich, sie wollten mich davor warnen, dass die Polizei gleich das Feuer eröffnen würde.
    Aber so war es gar nicht gemeint.
    Die Verteidigung im Amadou-Diallo-Prozess hatte behauptet, die Polizisten hätten geglaubt, Diallo wolle eine Waffe ziehen, als er nach seinem Portemonnaie griff, um sich auszuweisen. Seitdem taten viele Menschen ihren Protest kund, indem sie schnell in ihre Tasche griffen, das Portemonnaie herauszogen und Diallo! riefen. Polizisten berichteten, dass sie es immer noch jedes Mal mit der Angst bekamen, wenn eine Hand so in einer Tasche verschwand.
    So auch jetzt. Meine neuen Verbündeten - ein Bündnis, das vermutlich auf der Tatsache beruhte, dass sie mich für einen Mörder hielten - zückten ihre Portemonnaies. Die beiden Cops, die mir auf den Fersen waren, zögerten. Es reichte, um meinen Vorsprung ein kleines bisschen zu vergrößern.
    Doch was brachte das?
    Mir brannte die Kehle. Ich atmete viel zu schnell. Meine Turnschuhe fühlten sich an wie bleierne Stiefel. Ich wurde nachlässig, hob die Füße nicht mehr richtig und geriet ins Stolpern. Ich verlor das Gleichgewicht, schlitterte übers Straßenpflaster und schürfte mir Hände, Knie und Gesicht auf.
    Ich kam zwar wieder auf die Beine, aber mir zitterten die Knie.
    Sie kamen immer näher.
    Das schweißnasse Hemd klebte auf meiner Haut. In meinen Ohren hörte ich dieses Brandungsrauschen. Laufen war mir immer verhasst gewesen. Fanatische Jogger schildern gern, wie sie süchtig nach den Verzückungen des Laufens geworden sind, wie sie das unter dem Namen Runners High bekannte Nirvana entdeckt haben. Okay. Ich war schon lange der Überzeugung, dass dieses Glücksgefühl - ähnlich wie bei autoerotischen Würgespielen - eher vom Sauerstoffmangel im Gehirn als von einem Endorphin-Rausch ausgelöst wird.
    Ich verspürte jedenfalls keine Glücksgefühle.
    Ich war erschöpft. Vollkommen erschöpft. Ich konnte nicht ewig so weiterlaufen. Ich sah mich um. Keine Cops. Die Straße war leer. Ich versuchte, eine Tür zu öffnen. Nichts. Ich versuchte es bei einer anderen. Das statische Rauschen war wieder zu hören. Ich rannte. Am Ende des Blocks erblickte ich eine Kellertür, die nur angelehnt war. Auch sie war verrostet. Hier war alles verrostet.
    Ich beugte mich hinunter und zog an dem Metallgriff. Mit einem unwilligen Knarren gab die Tür nach. Ich starrte in die Dunkelheit hinab.
    Ein Cop brüllte: »Schneidet ihm auf der anderen Seite den Weg ab!«
    Ich sah mich nicht um. Schnell trat ich in das Loch. Ich fand die erste Stufe. Wacklig. Ich wollte meinen Fuß auf die zweite Stufe setzen. Aber da war keine zweite Stufe.
    Einen Moment hing ich in der Luft wie Koyote Karl, der auf der Jagd nach dem Roadrunner über den Rand der Klippe hinausgelaufen ist, ehe

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