Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Wahl. Trotzdem gab es genügend Anhaltspunkte, aus denen sogar ich schließen konnte, dass wir uns in einer Crack-Höhle befanden.
»Hier entlang«, sagte Tyrese.
Wir bahnten uns einen Weg zwischen den Siechen hindurch. Brutus ging voran. Die teuer Hingestreckten teilten sich vor ihm wie das Rote Meer vor Moses. Ich reihte mich hinter Tyrese ein. Hier und da glommen Pfeifenköpfe als helle Punkte in der Dunkelheit auf. Ich musste daran denken, wie ich als Junge im Zirkus Barnum gewesen war und wie dort in der Dunkelheit kleine Lichter herumgetanzt hatten. So sah es hier aus. Ich sah die Dunkelheit, die Schatten und die Lichtblitze.
Es gab keine Musik. Die Leute sprachen auch nicht viel. Ich hörte nur ein Raunen. Dazwischen das nasse Saugen an den Pfeifen. Gelegentlich gellten spitze Schreie durch den Raum, die kaum etwas Menschliches hatten.
Ich hörte auch Stöhnen. Einige Leute vollzogen in aller Öffentlichkeit ohne jede Scham die unanständigsten Geschlechtsakte und machten auch nicht den kleinsten Versuch, sich in so etwas wie eine Privatsphäre zurückzuziehen.
Ein Anblick - ich erspare Ihnen die Details - ließ mich vor Schreck zusammenzucken. Tyrese wirkte beinahe amüsiert, als er meine Miene sah.
»Wenn sie nichts anderes haben, tauschen sie das …«, er zeigte in die Dunkelheit, »… gegen ihre Dosis.«
Galle stieg mir in den Mund. Ich sah ihn an. Er zuckte die Achseln.
»Geschäft ist Geschäft, Doc. Money makes the world go round.«
Tyrese und Brutus gingen weiter. Ich stolperte hinterher. Die meisten Innenwände waren eingestürzt. Überall hingen Menschen - alte, junge, schwarze, weiße, Männer, Frauen - scheinbar ohne Rückgrat, sie zerliefen wie Dalís Uhren.
»Sind Sie ein Crackhead, Tyrese?«, fragte ich.
»War ich mal. Mit sechzehn war ich süchtig.«
»Wie haben Sie aufgehört?«
Tyrese lächelte. »Sehen Sie den Mann da? Brutus?«
»Ist kaum zu übersehen.«
»Ich hab ihm gesagt, er kriegt tausend Dollar für jede Woche, die ich clean bleibe. Brutus ist bei mir eingezogen.«
Ich nickte. Das klang wesentlich effektiver als eine Woche in der Betty-Ford-Klinik.
Brutus öffnete eine Tür. Das Zimmer dahinter war nicht unbedingt elegant, aber immerhin gab es Tische, Stühle, sogar Lampen und einen Kühlschrank. In der Ecke stand ein tragbarer Generator.
Tyrese und ich traten ein. Brutus schloss die Tür und wartete im Korridor. Wir waren allein.
»Willkommen in meinem Büro«, sagte Tyrese.
»Hilft Brutus Ihnen noch immer dabei, sich von den Drogen fern zu halten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nee, das macht jetzt TJ. Alles klar?«
Es war klar. »Und Sie haben keine Probleme mit dem, was Sie hier tun?«
»Ich hab reichlich Probleme, Doc.« Tyrese setzte sich und forderte mich auf, dasselbe zu tun. Er sah mich kurz an, und was ich in seinen Augen sah, gefiel mir nicht. »Ich bin keiner von den Guten.«
Da ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte, wechselte ich das Thema. »Ich muss um fünf im Washington Square Park sein.«
Er lehnte sich zurück. »Erzählen Sie mir, was los ist.«
»Das ist eine lange Geschichte.«
Tyrese zog ein stumpfes Messer aus der Tasche und fing an, sich die Fingernägel zu säubern. »Wenn mein Junge krank ist, geh ich zum Fachmann, stimmt’s?«
Ich nickte.
»Wenn Sie Probleme mit der Polizei haben, sollten Sie das Gleiche tun.«
»Hübsche Parallele.«
»Sie stecken irgendwie in der Scheiße, Doc.« Er breitete die Arme aus. »In der Scheiße kenn ich mich aus. Einen besseren Reiseführer als mich kriegen Sie nicht.«
Also erzählte ich ihm die Geschichte. Fast alles. Er nickte häufig, ich bezweifle aber, dass er mir glaubte, als ich sagte, ich hätte nichts mit den Morden zu tun. Ich bezweifle auch, dass es ihn interessierte.
»Okay«, sagte er, als ich fertig war. »Sie machen sich jetzt erst mal zurecht. Dann müssen wir uns noch über was anderes unterhalten.«
»Über was?«
Tyrese antwortete nicht. Er ging in die Ecke zu einer Art gepanzertem Spind, schloss ihn auf, griff hinein und zog eine Pistole heraus.
»Glock, Baby. Glock«, sagte er und reichte mir die Pistole. Ich erstarrte. Ein schwarzes, blutiges Bild ging mir durch den Kopf und verschwand wieder. Ich legte keinen Wert darauf, es zurückzuholen. Das war lange her. Ich streckte die Hand aus und nahm die Waffe vorsichtig mit zwei Fingern, als hätte ich Angst, mich daran zu verbrennen. »’ne Profiwaffe«, fügte er hinzu.
Ich wollte schon dankend ablehnen, doch
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