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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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paar Mal aus den Fenstern, alles klar? Und wenn die Cops endlich drin sind, ist längst keiner mehr da.«
    »Und wer hat das von dem Weißen mit’ner Knarre gebrüllt?«
    »Ein paar andere Jungs von mir. Die sind die Straße langgelaufen und haben was von’nem irren Weißen geschrien.«
    »Also ich, theoretisch.«
    »Theoretisch«, wiederholte Tyrese lächelnd. »Sie kennen aber schöne, komplizierte Worte, Doc.«
    Ich lehnte den Kopf zurück. Erschöpfung breitete sich in meinen Gliedern aus. Brutus fuhr nach Osten. Er überquerte die blaue Brücke am Yankee-Stadion - ich habe nie rausgefunden, wie sie heißt -, womit wir also in der Bronx waren. Anfangs saß ich etwas in mich zusammengesunken da, falls jemand ins Auto hineinsah, doch dann fiel mir wieder ein, dass die Fenster verspiegelt waren. Ich schaute hinaus.
    Die Gegend war hässlich wie die Hölle, sie erinnerte an jene Bilder, mit denen in Endzeitfilmen die Zeit nach der großen Atombombenexplosion illustriert wird. Hausruinen in allen erdenklichen Stadien des Verfalls säumten die Straßen. Viele sahen aus wie von innen zerfressen, als hätten sich die tragenden Strukturen von selbst zersetzt.
    Wir fuhren ein Stück. Ich versuchte mir klar zu machen, was mit mir geschah, doch mein Hirn stellte mir immer wieder Hürden in den Weg. Einerseits begriff ich, dass ich am Rande eines Schocks stand, andererseits weigerte ich mich, auch nur darüber nachzudenken. Ich versuchte, mich auf meine direkte Umgebung zu konzentrieren. Im Laufe unserer weiteren Fahrt - auf der wir tiefer in das verwüstete Gebiet eindrangen - wurde die Anzahl der bewohnbaren Behausungen immer kleiner. Wir waren wohl nicht weiter als ein paar Meilen von der Klinik entfernt, trotzdem hatte ich keine Ahnung, wo wir uns befanden. Vermutlich immer noch in der Bronx. Wahrscheinlich in der South Bronx.
    Alte Reifen und aufgerissene Matratzen lagen wie Kriegsversehrte mitten auf der Straße. Große Betonblöcke ragten aus hohem Gras hervor. Am Straßenrand standen ausgeschlachtete Autowracks, und obwohl gerade kein Feuer zu sehen war, hätte es doch gut hierher gepasst.
    »Sind Sie öfter hier, Doc?«, fragte Tyrese mit einem leisen Lachen.
    Ich sparte mir die Antwort.
    Brutus hielt vor einem der vielen zum Abriss freigegebenen Häuser. Ein Maschendrahtzaun umgab das traurige Bauwerk. Die Fensteröffnungen waren mit Sperrholzplatten vernagelt. Auch die Tür war aus Sperrholz. Ein Zettel klebte daran. Sie öffnete sich. Ein Mann kam herausgetorkelt und hob beide Hände, um seine Augen vor der gleißenden Sonne zu schützen. Er zuckte wie Dracula vor ihrem Angriff zurück.
    In meinem Kopf drehte sich alles.
    »Gehen wir«, sagte Tyrese.
    Brutus stieg als Erster aus. Er öffnete mir die Tür. Ich dankte ihm. Brutus blieb stoisch. Er hatte eins dieser Indianergesichter, wie die aus den Zigarrenläden, bei denen man sich weder vorstellen konnte noch wollte, dass sie jemals lächelten.
    Rechts war ein Loch in den Maschendraht geschnitten. Wir bückten uns und schlüpften hindurch. Der torkelnde Mann kam auf Tyrese zu. Brutus erstarrte, doch Tyrese hob beschwichtigend die Hand. Der torkelnde Mann und Tyrese begrüßten sich herzlich mit einem komplizierten Handschlag. Dann ging jeder seiner Wege.
    »Kommen Sie rein«, forderte Tyrese mich auf.
    Ich senkte den Kopf und trat, immer noch benommen, durch die Tür. Zuerst kam der Geruch. Ätzender Urin und der unverkennbare Gestank von Fäkalien. Irgendetwas brannte - ich glaubte zu wissen, was. Die Wände schienen den feuchten Mief von Schweiß abzusondern. Doch es lag noch etwas anderes in der Luft. Nicht Tod und Verwesung, sondern ein Anflug des bevorstehenden Todes, eine Art Wundbrand, etwas, das starb und moderte, während es noch atmete.
    Es war stickig und heiß wie in einem Hochofen. Menschliche Wesen - vielleicht 50, vielleicht auch 100 - lagen auf dem Fußboden: weggeworfene Nieten einer Lotterie. Drinnen war es dunkel. Offenbar gab es weder Strom noch fließend Wasser. Auch keine Möbel. Das Tageslicht wurde mit Brettern draußen gehalten, nur durch ein paar schmale Ritzen fiel etwas Sonne herein und teilte den Raum wie die Sense des Schnitters. Man konnte kaum mehr als ein paar Konturen und Schatten ausmachen.
    Ich gebe zu, dass ich, was die Drogenszene betrifft, recht naiv bin. Die Folgen des Missbrauchs habe ich in der Notaufnahme häufig gesehen. Aber die Drogen an sich haben mich nie interessiert. Für mich war wohl der Alkohol das Gift der

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