Kein Tod wie der andere
ihrer Veranstaltungen teilgenommen hatte. Doch ihr fiel niemand ein. Von dem Graduiertenkolleg unter dem rührigen Professor Frantz hatte sie hingegen gehört. Da es nicht ihre Fachrichtung war, konnte sie aber dazu nichts beitragen.
Es war vor den Wohnzimmerfenstern schon dunkle Nacht geworden, als sich Marie von ihren beiden Gästen verabschiedete. Sie hatten vereinbart, dass Nicole am nächsten Tag schon vormittags zu ihr käme, um Zoé zu betreuen. Damit konnte sie wenigstens die notwendigsten Dinge ihrer Arbeit wieder in Angriff nehmen. Christian hatte ihr zugesichert, dass er die Abstellung seiner Kollegin noch für die nächsten Tage rechtfertigen könne, solange die Hoffnung bestand, Hinweise von Zoé als bislang einziger Zeugin zu erhalten. Marie wusste aber, dass er dies auch ihr zuliebe machte.
Sie lag schon im Bett, als sie über diesen letzten Punkt weiter nachdachte. Trotz des ganzen Trubels in ihrem Haus wusste sie, dass sie sich über ihre Gefühle für Christian klar werden musste. Sie blieb noch lange wach liegen.
27
Aldenhoven; Dienstag, 14. Juni
Hannah Sobothy hatte sich von Alexanders Mutter den Weg zum nur zwei Kilometer entfernten Braunkohle-Tagebaugebiet Inden erklären lassen. Sie kannte zahlreiche Kiesgruben aus ihrer Jugendzeit im niedersächsischen Peine. Dort hatten sie und ihre Freunde ganze Sommerferien mit Baden und Flirten zu jeder Tages- und Nachtzeit verbracht. Doch das, was jetzt vor ihr lag, konnte sie im ersten Moment nicht fassen, obwohl Elisabeth Altmüller ihr zuvor ausführlich davon berichtet hatte.
Sie hatte sich an den Rand der Abbaufläche gesetzt und starrte auf den vier mal vier Kilometer großen, völlig zerwühlten Abgrund, der sich vor ihr auftat. Es war relativ ruhig in den Abendstunden. Es dauerte ein wenig, bis sie die Herkunft dieses deutlichen schabenden Geräusches lokalisiert hatte, das aus dem Loch zu ihr heraufdrang. Der Schaufelradbagger stand sicher einige hundert Meter von ihr entfernt und war trotzdem ganz nah zu spüren. Sie suchte die Fläche ab und fand noch mindestens drei weitere dieser Ungetüme, die sich unaufhaltbar in den Untergrund fraßen. Es brauchte sicherlich zehn, fünfzehn Minuten, bis sie den Anblick einigermaßen verarbeitet hatte. Die letzten fünf Stunden hatte sie zunächst in Aldenhoven, dann in Neu-Lohn verbracht. Als Erstes war sie zu Alexanders Mutter gefahren. Sie wusste, dass er eine sehr enge Bindung zu ihr gehabt hatte, und hoffte darauf, von ihr einen Hinweis auf den Verbleib des Recherchematerials zu bekommen, das offensichtlich auch die Polizei noch nicht gefunden hatte. Zumindest hatte Kommissar Buhle nichts angedeutet, als sie sich mit ihm getroffen hatte.
Alexanders Mutter war zunächst sehr distanziert gewesen, hatte sie mit großer Skepsis gemustert. Das hatte sich erst geändert, als sie ihr über ihre Zusammenarbeit mit Alexander berichtet, ihn als guten Kollegen und hervorragenden Journalisten beschrieben und ihre große Trauer über seinen Tod zum Ausdruck gebracht hatte. Sie hatte vielleicht ein wenig dick aufgetragen, doch die Mutter schien nur zu gern zu hören, was für ein toller Kerl ihr Sohn gewesen war. Daraufhin hatte sich Sobothy eine Stunde lang alte Geschichten von Alexander anhören müssen: über das aufgeweckte Kind, wie er nach dem Tod des Vaters aus Berlin zurückgekommen war, um in der Nähe seiner Mutter sein zu können, und wie dann durch diese luxemburgische Dirne, die ihm gleich Kinder angehängt hatte, alles kaputt gegangen war.
Hannah Sobothy hatte sich zusammenreißen müssen, weil sie die Verunglimpfung von Suzanne Altmüller unerträglich fand. In einer anderen Situation hätte sie das sicher auch sehr bestimmt zum Ausdruck gebracht. Doch hier ging es nicht darum, einer verbitterten, einsamen Witwe aussichtslose moralische Vorhaltungen zu machen. Es ging darum, Informationen über Alexanders Arbeit zu sammeln. Deshalb betonte sie, dass Alexander trotz der vielfältigen häuslichen Belastungen seine journalistische Arbeit sehr erfolgreich weitergeführt hatte und zuletzt an mehreren großen Reportagen dran gewesen war, über die er sich mit ihr immer wieder ausgetauscht hatte. Sobothy hatte Elisabeth Altmüller versucht zu erklären, wie wichtig es sei, dass Alexanders letzte Projekte mit seinem Tod nicht von der Bildfläche verschwanden, sondern zum Abschluss gebracht werden müssten. Sie, Hannah, sei jedenfalls gewillt, sein Erbe anzunehmen und zu beenden, was er begonnen
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