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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Ness
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hatte, damit alle sehen konnten, was für einen guten Journalisten die Welt verloren hatte. Ein bisschen schämte sie sich über ihre Vorgehensweise. Aber sie spürte sehr bald, dass sie auf genau diese Weise bei seiner Mutter landen konnte. Schließlich hatte sie mit ihr in sein Zimmer gehen und nach Unterlagen suchen dürfen.
    Vielleicht hatte sie von Anfang an geahnt, dass sie in Alexanders Jugendzimmer nichts finden würde. Offensichtlich hatte aber auch seine Mutter keine Ahnung, wo er etwas versteckt haben konnte. Hannah Sobothy versuchte, sich in Alexander hineinzuversetzen, überlegte, wie sie selbst Unterlagen sicher verstecken würde, jedoch so, dass sie für diejenigen auffindbar wären, die sie kannten und nach ihrem Tod danach suchen würden. Es müsste Hinweise geben, die nur Leute entdecken konnten, die einen persönlichen Zugang zum Toten hatten, die so gut über ihn Bescheid wussten, dass sie damit etwas anfangen konnten. Aber eben auch nur die.
    Sie hatte nachgedacht und war letztlich zu dem Schluss gekommen, dass es in Bezug auf das Elternhaus nur etwas sein konnte, das Alexander mit seiner Jugendzeit verband, etwas, das nur Vertraute wussten. Den entscheidenden Hinweis gab schließlich doch seine Mutter. Sie berichtete, wie ihr Sohn in seiner Jugendzeit unheimlich viel gelesen hatte. Vor allem, wenn etwas schiefgegangen war, hatte er sich tagelang mit einem Stapel Bücher in seinem Zimmer verkrochen. Besonders hatten ihn Geschichten über Entdecker und Forscher fasziniert. Als Sobothy nachfragte, erfuhr sie, dass diese Bücher in Kisten auf dem Dachboden standen.
    Mehr aus Ratlosigkeit hatte sie nach diesen Kisten gesucht und schließlich ein Buch mit dem Titel »Genial gescheitert – Schicksale großer Entdecker und Erfinder« gefunden. Auffällig war nicht nur der Titel, sondern auch, dass das Buch erst im Vorjahr veröffentlicht worden war. Sie schlug es auf und fand darin eine Widmung: »Dein Tun währt lange über deinen Tod hinaus, wenn andere deine Werke vollenden. Dein Schulfreund Andreas«. Es war reine Intuition gewesen, aber sie führte zum Ziel.
    Elisabeth Altmüller konnte sich an einen Mitschüler namens Andreas Koschinski erinnern, mit dem Alexander eine Zeit lang eng befreundet und häufig unterwegs gewesen war. Mit Beginn des Studiums hatten sich ihre Wege getrennt. Wo der Koschinski jetzt wohnte, wusste sie nicht. Sein Elternhaus war damals ganz in der Nähe in Neu-Lohn gewesen. Sobothy hatte über das Internet schnell herausgefunden, dass ein Koschinski auch jetzt noch dort in der Ringstraße wohnte.
    Das alte Lohn war einer der Orte gewesen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren infolge des Braunkohleabbaus abgesiedelt worden waren. Den Bewohnern blieb damals keine andere Wahl, als ihre Heimat aufzugeben und in die neu angelegten Siedlungen zu ziehen, die ersatzweise in der näheren Umgebung entstanden. Neu-Lohn wurde südlich des verbliebenen Dorfs Fronhoven erbaut und lag genau zwischen der aktuellen Tagebaufläche und dem Blausteinsee, einem Tagebaurestsee. Heute unterschied sich dieser Ortsteil nicht von den zahlreichen anderen Baugebieten, die in dieser Zeit errichtet wurden. Mit dem Wegsterben der damaligen Generationen heilten auch die Wunden langsam ab, die der Tagebau in die Seele der Lohner Bevölkerung gerissen hatte. Doch noch war nicht der letzte Ort im Braunkohlefördergebiet vom Erdboden verschwunden und die Ohnmacht gegen den übermächtigen Energiekonzern und seine Nutznießer allgegenwärtig.
    Es war tatsächlich Andreas Koschinski, der als Ingenieur nach Jahren der beruflich bedingten Wanderschaft um den Globus vor zehn Monaten in sein Elternhaus zurückgekehrt war. Seine Eltern hatten sich nie mehr in der neuen Umgebung eingelebt und waren nach der Pensionierung nach Stolberg bei Aachen in die Nähe seiner beiden Geschwister gezogen.
    Sie war völlig verblüfft gewesen, als Alexanders Schulfreund sie, direkt nachdem er die Tür geöffnet hatte, fragte, ob sie Hannah Sobothy sei. Er hatte ihr erklärt, dass Alexander bei seinen regelmäßigen Besuchen in der Gegend auch ihn häufiger getroffen hatte. Ihre Freundschaft war nach all den Jahren sofort wieder gegenwärtig gewesen. Anscheinend hatte Alexander dringend jemanden gebraucht, dem er sich anvertrauen konnte, denn sie hatten oft über seine familiäre Situation und seine Arbeit gesprochen. Mehrmals hatte er Sobothy als die Einzige erwähnt, mit der er sich über seine Recherchen ausgetauscht hatte und

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