Kein Tod wie der andere
überführen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Er war Journalist, es war sein Thema, aber er hat einfach aufgehört.«
»Das könnte sein. Finden sich dazu irgendwelche Informationen?«
»Ich habe keine gefunden.«
»Gut, wir werden alle Daten genau sichten und analysieren.«
»Da werden Sie noch einiges zu tun haben. Aber vielleicht sollten Sie sich auch mit den beiden Männern beschäftigen, die auf einer Fotoserie zu sehen sind. Offenbar hat er später noch weitere Fotos gemacht, zumindest von einem der beiden.«
»Gehören auch Namen zu den Fotos?«
»Ja. Eric Dardenne und Mario Reno.«
Als Buhle wieder zu Hause war, leerte er erst einmal eine ganze Flasche Mineralwasser. Dabei kopierte er die CD vorsichtshalber und legte die Kopie in sein DVD -Laufwerk. Hannah Sobothy war nicht damit herausgerückt, ob sie Daten für sich zurückgehalten hatte. Sie hatte nur gelächelt, als er sie danach gefragt hatte, und er ahnte auch, warum: Sie wollte wahrscheinlich gewisse Recherchen von Altmüller weiterführen und eine eigene Story daraus machen.
Eine Stunde lang hielt er noch durch und verschaffte sich einen Überblick über die Daten. Dann ging er die vielfältigen Ereignisse des Tages in Gedanken noch einmal durch, wobei er eine Flasche Multivitaminsaft nach und nach leerte: ihren Besuch im Labor in Luxemburg, die Aussage von Nanette Bonitzer, die Daten und die stimmige Analyse von Hannah Sobothy – und auch die kurzweilige Stunde beim Essen mit ihrer Mitbewohnerin.
Es war schon wieder weit nach Mitternacht, als er im Bett lag. Ihm fiel ein, dass er seit dem Mittag nicht mehr an Marie gedacht hatte. Er wollte sich gerade fragen, warum, doch da war er schon eingeschlafen.
34
Merteskaul; Donnerstag, 16. Juni
Sun Shiwen war überrascht, wie leicht er in das Haus hineingelangen konnte. Er hatte gedacht, die deutsche Polizei würde solche Gebäude besser sichern. Natürlich rechnete er nicht damit, auf irgendwelche relevanten Unterlagen des Journalisten zu stoßen. Er hatte von den hiesigen Kriminalbeamten eine deutlich höhere Meinung als von seinen früheren Kollegen in Shanghai. Also würden sie alles mitgenommen haben. Alles, bis auf die auch für ihn wichtigen Sachen, die der Einbrecher hatte mitgehen lassen. Sicherlich hatte die Polizei diese Mitteilung gezielt an die Medien lanciert, um den Täter unter Druck zu setzen. Die Ermittler schienen also bereits eine Ahnung zu haben. Die hatte er allerdings auch. Auch darum würde er sich bald kümmern.
Altmüller war ein guter Journalist gewesen, sonst wäre er ihnen nicht auf die Spur gekommen. Und gute Journalisten haben ihre wichtigsten Informationen nicht nur zu Hause herumliegen. Sie sichern sich ab, wenn sie an brisanten Themen arbeiten, die ihnen Schwierigkeiten bereiten könnten. Er musste nach Zeichen suchen, nach Zeichen, die ihn zu diesen Unterlagen führen würden, nach Zeichen, die die Polizisten übersehen haben mussten, weil sie sonst bereits ganz anders aufgetreten wären.
Es war frühmorgens. Trotz der geschlossenen Fenster konnte er das vielstimmige Konzert der Vögel hören, das zum Tagesanbruch vom umliegenden Wald her einsetzte. Er hatte sie schon öfter hier gehört, und ohnehin mochte er Vögel von allen Tieren am liebsten. Sie symbolisierten für ihn die Leichtigkeit des Lebens, die er selbst nie erfahren hatte und doch für eine unbestimmte Zukunft anstrebte. Würde es schon bald so weit sein? Das Licht in den Räumen war dämmrig und diffus, doch seine Augen waren geschult und daran gewöhnt, auch unter diesen Bedingungen zu erkennen.
Hatte der Journalist eine Spur hinterlassen, hatte er sie hinterlassen wollen, für andere? Es schien ihm naheliegend. Aber für wen? Für Leute, die ihn gekannt, denen er vertraut hatte. Was war dem Journalisten wichtig gewesen?
Er ging durch die Kinderzimmer. Das Zimmer der jüngeren Tochter war noch vollständig eingerichtet und aufgeräumt. Das Zimmer der Schwester, die noch lebte, machte hingegen einen unordentlichen Eindruck. Sie musste überhastet aufgebrochen sein. Die Schranktüren waren noch geöffnet, ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Bett, auf dem kleinen Schreibtisch lag ein mit Wasserfarben gemaltes Bild. Der Farbkasten lag geöffnet daneben. In den ausgetrockneten Farbschälchen zeigten die häufig benutzten Rottöne Risse. In einem Glas standen noch immer zwei Haarpinsel, deren Holzgriff aufgequollen war. Die Farbpigmente hatten sich am Boden abgesetzt, das Wasser war
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