Kein Tod wie der andere
Zimmer und ließ sich vehement in den Besucherstuhl gegenüber von Buhle fallen. »Was war denn da heute Nacht schon wieder los?«, schnaufte der Kriminaldirektor und kniff skeptisch die Augen zusammen. Für Buhle war das ein deutliches Zeichen, besser vorsichtig zu sein.
»Guten Morgen, Herbert. Wer hat dich unterrichtet?«
»Ambrosius hat angerufen und mich gefragt, warum einer meiner Mitarbeiter seine Leute beim KDD wild macht.«
Werner Ambrosius war Leiter der Kriminalinspektion Trier, bei der der KDD derzeit noch angesiedelt war, und wie so häufig bei leitenden Beamten waren Großmann und er einander nicht wirklich in Freundschaft zugetan. Zumal Ambrosius seinerzeit offen um Großmanns Posten gebuhlt hatte.
»Ich mache bestimmt keinen wild.« Mit den notwendigsten Worten berichtete Buhle seinem Vorgesetzten von den Geschehnissen seit dem vorangegangenen Abend. Spätestens als der Name Steyn fiel, begann sich Großmanns Gesicht rot zu verfärben, und der weiße Haarkranz leuchtete in der für den Sechzigjährigen so typischen Weise. »Letztendlich hat Frohwein entschieden, wie die Ermittlungen aufgenommen werden. Ich habe mich da ganz bewusst rausgehalten.«
Seit Buhle im vorigen Jahr nicht immer gemäß den Vorschriften agiert hatte, war Großmann vorsichtig geworden. Auch jetzt war er noch nicht ganz überzeugt. »Das hört sich alles eher nach einem abgedrehten Krimi an«, murrte er vor sich hin. »Und was gedenkst du jetzt zu tun?« Seine Augen wurden noch etwas schmaler.
»Ich wollte gerade bei Frohwein nachfragen, ob es schon etwas Neues gibt und welcher Kollege die Ermittlungen übernehmen wird. Außerdem muss ich noch einmal zum … vermeintlichen Tatort. Mein Auto steht noch da.«
»Du hältst dich da raus, bis es für uns einen tatsächlichen Anlass gibt, uns einzuschalten. Ist das klar? Ich habe keine Lust auf Ärger mit Ambrosius.«
»Natürlich«, sagte Buhle und versuchte dabei eine völlig neutrale Miene aufzusetzen. »Aber ich bin vom ermittlungsführenden Kollegen noch gebeten worden, über die Gemeinsame Stelle in Luxemburg die Fahndung nach Suzanne John-Altmüller zu beschleunigen. Das darf ich doch noch?«
Als Antwort ertönte ein Schnaufen, das Buhle als Zustimmung auffasste. Ohne ein weiteres Wort verließ Großmann das Zimmer.
Buhle informierte die Kontaktstelle für die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Leider hatte er nicht Henri Ducard am Apparat, den er dort beim gemeinsamen Dienst vor ein paar Jahren kennengelernt hatte. Er überlegte, ob er ihn noch direkt anrufen sollte, unterließ es aber, weil das sicherlich einen berechtigten Affront gegen die Kollegen in der Gemeinsamen Stelle dargestellt hätte. Stattdessen rief er Frohwein an, der aber noch nichts Neues zu berichten hatte. Zumindest sei die Fahndung nach Suzanne John-Altmüller jetzt im Gange.
Christian Buhle ging ans Fenster und schaute in Richtung Hauptbahnhof. Schüler fluteten gerade den Bahnhofsvorplatz und strömten in Richtung Alleencenter. Wer nicht in eines der beiden Gymnasien ging, die nur fünf Gehminuten entfernt lagen, reihte sich entlang der Haltestellen des Busbahnhofs auf. Aus dieser trägen Masse lösten sich die Erwachsenen, die über die Bahnhofstraße und den Alleenring ihren Arbeitsplätzen in der City entgegeneilten. Die morgendliche Flut.
Wo war Suzanne John-Altmüller? Hatte sie die Flucht ergriffen, war nach Trier zum Bahnhof gefahren, um sich unauffällig in die nachmittägliche Ebbe einzureihen, die die Menschen wieder aus der Moselmetropole hinausführte? Konnte es sein, dass ihr Auto in der Reihe entlang der Kürenzer Straße stand, nur wenige Meter von ihm entfernt? Eigentlich unvorstellbar und doch schon so häufig geschehen, dass Menschen nach derartigen Schicksalsschlägen keinen anderen Ausweg mehr sahen, als einen Schlussstrich unter ihr bisheriges Leben zu ziehen. Selbst wenn sie dafür ihre Kinder verlassen mussten. Aber alles, was er bislang über die junge Mutter wusste, sprach dagegen. Die Variante eines zu lang geratenen Besuchs bei Freunden oder Verwandten hielt er deshalb für noch unwahrscheinlicher. Dennoch müssten bald alle möglichen Kontaktpersonen befragt werden.
Ein Autounfall wäre da schon eher zu vermuten gewesen, doch wären sie in diesem Fall schon längst informiert worden, auch wenn er in Luxemburg passiert wäre. Er starrte weiter aus dem Fenster, nahm aber gar nicht wahr, dass der Bahnhofsplatz wie auch der Busbahnhof nun fast leer
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