Kein Tod wie der andere
wollte, nahm Buhle seine Kollegin zur Seite. »Ist heute Nacht alles gut gegangen?«, fragte er.
Nicole Huth-Balzer zögerte einen Augenblick, dann blickte sie Buhle direkt in die Augen. »Marie Steyn war noch ziemlich wach, als ich ankam. Wir haben uns über die Situation unterhalten, in der sie, ihre Kinder und vor allem auch Zoé sich befinden. Sie macht sich sehr große Sorgen.« Sie wartete einen Moment. Als Buhle nichts sagte, sprach sie weiter.
»Frau Steyn … also Marie hält es für besser, Zoé noch nichts vom Tod ihrer Mutter zu erzählen. Das Kind ist ohnehin noch völlig durcheinander. Solange nicht klar ist, wie ihm weitergeholfen werden kann, sollte man ihm nicht noch den Tod der Mutter zumuten, meint sie. Ab Dienstag wird sich Marie mit Jugendamt und Kollegen kurzschließen und nach einer Lösung suchen. Sie braucht auch noch jemanden, der in dieser Zeit auf Zoé aufpasst. Ich … wir haben überlegt, ob ich das nicht übernehmen sollte. Dazu müsste ich mich aber mit sehr viel mehr Zeit um das Mädchen kümmern, damit sie mich auch akzeptiert.«
»Ja, das ist keine schlechte Idee, aber du würdest uns natürlich hier fehlen.«
»Nach euren neuen Erkenntnissen wird die Soko sowieso deutlich aufgestockt werden müssen. Das schaffen wir alles doch gar nicht. Und die Ermittlungen im Ausland kannst du schlecht mit Henri im Alleingang machen. Schon gar nicht bei so brisanten Themen.«
Buhle seufzte unweigerlich. »Wohl kaum.« Er rang sich zu der Frage durch, die ihn persönlich interessierte. »Hat Marie, ich meine, hat sie …?«
»Wir haben auch über dich gesprochen. Aber dazu kann ich dir nichts sagen.«
Buhle verabschiedete sich mit einem knappen Nicken von seiner Kollegin. Ihr Blick war ihm Antwort genug gewesen.
Das luxemburgische Gesundheitslabor lag ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs, und auf dem nahe gelegenen Sportplatz fand gerade ein großes Fußballturnier statt. So waren die Straßen in der Umgebung völlig zugeparkt. Schließlich gelang es Buhle doch noch, in einer der hintersten Ecken auf dem Areal des Staatslaboratoriums einen Stellplatz für sein Auto zu finden. Durch diese Verzögerung schaffte er es allerdings nicht, vor dem Eintreffen von Josette John mit Ducard zu sprechen. Beide standen bereits vor dem Eingang des Institutsgebäudes und warteten auf ihn.
» Moien , Christian. Wir können gleich reingehen. Emil wartet schon auf uns.«
» Moien. Entschuldige, dass ich so spät dran bin. Aber wir hatten heute Morgen schon einiges zu tun.« Buhle wandte sich der Frau zu. » Bonjour , Madame John. Wie geht es Ihnen heute?«
»Es geht einem nicht gut, wenn man sein einziges Kind verliert.« Die Miene der Luxemburgerin hatte sich gegenüber dem Vortag nicht wesentlich geändert. Und dennoch schien sie vor der Gegenüberstellung mit dem Leichnam ihrer Tochter deutlich unruhig zu sein.
»Ja, das tut mir leid.« Buhle verzichtete auf weitere Höflichkeitsfloskeln.
Dem Verhalten der Mutter bei der Überbringung der Todesnachricht nach zu urteilen, hatte Buhle nicht wirklich mit Trauer gerechnet. Umso überraschter war er, als Josette John nun zwar beherrscht, aber doch lange und intensiv Abschied von ihrer Tochter nahm.
Als sie eine halbe Stunde später wieder draußen vor dem Gebäude standen, fragte Ducard: »Madame John, wir hatte gestern nicht den Eindruck, als ob Sie und ihre Tochter sich nahegestanden hätten. Könnten Sie uns heute erklären, wie Ihr Verhältnis zueinander war?«
Josette John starrte einen langen Moment ins Leere und fing dann unvermittelt an zu reden: »Ich hatte Ihnen bereits gesagt, dass wir Suzanne in den letzten Jahren nur selten gesehen hatten. Es war …« Sie schien wieder zu überlegen. Dann schaute sie Ducard und Buhle nacheinander an, und eine neue Entschlossenheit spiegelte sich in ihrem Gesichtsausdruck wider.
»Es war für meinen Mann nicht einfach zu verkraften, dass Suzanne ausgerecht nach Deutschland zum Studieren ging. Die Familie John hat mit den Deutschen keine guten Erfahrungen gemacht. Frédéric war der Letzte seiner Familie, der sich von dieser traurigen Vergangenheit niemals lösen, der nie verzeihen konnte. Nein, verzeihen kann Frédéric nicht, auch nicht in anderen Bereichen, auch nicht bei den Menschen, die er liebt.« Sie vermied es, Buhle anzuschauen. »Er … er hatte den Kontakt zu Suzanne komplett abgebrochen. Das war für sie nicht einfach, aber nur der Schlusspunkt einer … Sie hatte es auch vorher nicht
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