Kein Wort mehr ueber Liebe
Romy Schneider, Frauen, häufig Schauspielerinnen, die mehrere bedeutende Männer in ihrem Leben hatten – Anna sagt, die »mehrere Leben hatten«, als ob jeder Mann für ein Leben stünde. Sie sucht nach Modellen, Beispielen, die ihr sagen, dass, ja, auch sie ein Recht darauf hat. Das ist man ihr schließlich schuldig.
Aber sie zweifelt. Eines Abends, als sie im Auto unterwegs sind, sagt sie ihm:
– Weißt du, ich würde es so gerne schaffen. Oft sage ich mir: Anna, lass es los.
Yves lacht laut auf.
– Hast du gehört, was du da gerade gesagt hast? Du hast auch gesagt: »Lass es. Los«: »Lass es sein.«
Anna hat sich selbst gehört. Ihre ganze Zwiespältigkeit liegt darin verborgen. »Lass es. Los« oder »Lass es los«. Die Bedeutung des Punktes und des Unbewussten.
HUGUES UND YVES
»Ich weiß nicht, ob ich einen besten Freund habe. Es kommt vor, dass ich aufwache und nicht mehr weiß, wie alt ich bin. Ich habe meinen Wecker zehn Minuten vorgestellt, damit ich pünktlich losgehe, aber nun kalkuliere ich diese zehn Minuten schon vorher ein, was sie nichtig macht. Ich würde gerne ein Buch mit dem Titel
Mein belangloses Buch
veröffentlichen. Der Verleger hieße Ein kleiner Verleger, und die Reihe Im allgemeinen Desinteresse, damit ich sagen könnte: Ein kleiner Verleger hat im allgemeinen Desinteresse mein belangloses Buch veröffentlicht. Eines Tages habe ich, nachdem mich eine Frau verlassen hatte, meine Matratze entzweigeschnitten, damit ich nicht mehr da schlafen musste, wo sie einmal gelegen hatte. Wenn ich eilig das Haus verlassen muss, finde ich nie meine Schlüssel. Ich mag es, wenn mein Kopfkissen sich kühl anfühlt, wenn ich zu Bett gehe. Ich kannte mal einen Mann, dessen Name Dertod war und der sich so vorstellte: ›Dertod, wie der Tod, ohne Leerzeichen.‹ Ich werde in die Hölle kommen. Ich habe mindestens zehnmal im Fernsehen das Bild von der Tsunami-Welle gesehen, die über die indonesische Küste hinwegspült. Ich besitze Turnschuhe, Tennisschuhe, Kletterschuhe (nur zweimal angehabt), geschnürteWanderstiefel, schwarze Mokassins, schwarze Schuhe, Pantoffel, Sandalen mit Reifenprofilsohlen, gelbe Schwimmflossen. Ich weiß, dass mein Lieblingsfilm kein sehr guter Film ist. Ich frage mich oft, ob die Welt anders wäre, wenn ich nicht existierte.«
Yves legt Hugues Légers erstes Buch,
Définition
, aus der Hand. Eine Litanei von Sätzen, fast tausend, in denen der Autor in unzusammenhängenden Fragmenten sein Selbstporträt skizziert. Am Abend zuvor hat sich Hugues das Leben genommen, mit einem Schuss in den Mund. Anna ist einige Tage in Berlin, sie weiß es sicher noch nicht. Yves hat für die
Libération
sofort einen Nachruf geschrieben, mithilfe eines befreundeten Journalisten hat er erreicht, dass er ins Blatt kommt, obwohl ein anderer Artikel bereits im Satz war. Darin sagt er, dass Hugues’ letztes Buch,
Autolyse
, das vom Selbstmord spricht, dennoch kein »Testament, das man entsiegeln kann«, sei, dass es nicht »das kathartische Buch ist, das seine Freunde von ihm so gerne gehabt hätten, nicht das Buch, das jenes kreative Feld eröffnet hätte, das ihm noch zu öffnen blieb. Doch
Autolyse
ist sein gelungenstes Buch, es braucht, um zu existieren, nicht den dunklen Schein seines Todes, auf dessen Ankündigung er auch hätte verzichten können.«
Das Abendessen, das Anna gewollt hatte, wird niemals stattfinden, der Liebhaber von heute wird nie den Liebhaber von gestern kennenlernen. Aber Yves spürt, wie in ihm ein Gefühl von Freundschaft für Hugues entsteht, das dessen selbst beschlossener Tod vergebens zu unterbinden sucht. Er hat noch einmal seine Bücher gelesen, um in ihnen den Mann zu finden, den Anna geliebt haben muss. Und er hat in seinen Sätzen ein dunkles Wissen um das Leben entdeckt.Besonders ein Satz hat ihn heftigst berührt, mit ihm schließt
Définition
: »Der schönste Tag meines Lebens ist vielleicht schon Vergangenheit.« Bevor er Anna traf, dachte auch Yves, der schönste Tag seines Lebens sei schon Vergangenheit. Er weiß auch, dass die Frau, deretwegen Hugues seine Matratze entzweigeschnitten hat, Anna ist. Sie ist die Art von Frau, für die man ein Bett opfern kann.
Anna bewahrte für Hugues mehr als nur Zuneigung. Eines Tages hatte sie ihm versichert:
– Weißt du, Hugues, falls du in Schwierigkeiten bist, kannst du immer ein paar Tage bei mir und meinem Mann wohnen. Das stört uns nicht, wir haben ein Gästezimmer.
Eines Abends – es waren zwei
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