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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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Theater macht ihn konfus, und sein Verlangen erstirbt.
    Nach dem Höhepunkt mögen ihre Körper zwar jeden Dienst verweigern, aber die Lust, die sie aufeinander haben, bleibt lebendig. Anna küsst seinen Hals, Yves streichelt ihre Brüste, ihren Nacken, ihren Po, ist erstaunt über diesen unstillbaren Hunger. Sie klagt:
    – Meine Brüste werden alt. Du kennst sie nicht anders, aber sie waren früher so viel schöner. Prahlerisch, das ist das Wort. Sie waren prahlerisch.
    Er leckt die Brustwarzen, die sich unter seiner Zunge aufrichten, beißt sie ganz leicht, schnappt nach ihnen. Es sindkeine Jungmädchen-Brüste mehr. Das berührt ihn zutiefst. Zuweilen schläft Anna zufrieden ein, und ein zartes und dauerhaftes Lächeln zeichnet sich auf ihren Lippen ab.
    Ein andermal, als sie sich gerade anzieht, wirft Yves sie erneut aufs Bett zurück, zwingt umstandslos ihre Beine auseinander und drückt einen Kuss auf ihr Geschlecht. Lachend lässt sich Anna überwältigen. Als Yves sich wieder aufrichtet, sagt sie erstaunt:
    – Warum kann ich mit Stan nie so sein wie mit dir?
    Ihr Bedauern ist auf schmerzliche Weise ehrlich. Es ist wahr, alles wäre so viel einfacher. Yves lächelt. Er ist ganz groß im Einstecken von Schlägen.
    Anna fragt ihn auch oft, wie ein junges Mädchen:
    – Warum liebst du mich, Yves? Warum hast du mich so lieb?
    Das sagt sie ohne Ziererei. Sie hätte so gerne, dass seine Liebe ihr klare Umrisse gebe, ihr die Gewissheit gebe, dass sie existiert, wo sie doch so sehr für ihn existiert. Sie möchte sich konsistent fühlen, so dicht und schwer wie der Golem aus Tonerde, der sich nicht so viele Fragen stellt. Sie braucht die anderen. Manchmal sagt sie, dass sie nicht mehr als eine saprophyte Pflanze sei, ein für das Leben geeigneter Parasit.
    Wenn Anna sich dann endlich verabschiedet, bleibt Yves gerne zu Hause und genießt die träge Kraft, die diesem Glück innewohnt, sie gesehen zu haben. Sollte er eine Verabredung haben, eine Einladung zum Abendessen, sagt er ab, schiebt Arbeit vor oder eine Migräne. Nichts und niemand soll diesen Ton unterbrechen, den er noch hört, nichts und niemand soll die Farbe verwischen, die sie in ihm aufgetragen hat.

ANNA UND LOUISE
    Zweihundert Euro für einen Wollpullover, fast hundert für einen Schal aus einfacher schwarzer Baumwolle. Yves hat selten so eine teure Boutique gesehen. Bevor Anna in sein Leben einbrach, ging Yves niemals in diese fast völlig leeren Orte, die halb Kunstgalerie, halb Wohnzimmer sind, wo kein Rock, kein Mantel in zwei Exemplaren am Kleiderständer hängt, wo es oft nur eine Größe gibt, die aber fast allen Kundinnen passt. Alle diese Kleidungsstücke haben außerdem die exquisite Eleganz, niemals neu auszusehen.
    – Nein, das ist gar nicht teuer, schau mal, das ist alles zum halben Preis, korrigiert ihn Anna, es ist Schlussverkauf.
    Kleider sind für Anna eine zwanghafte Leidenschaft. Sie ist stets auf dem neuesten Stand der Mode, weiß damit zu spielen, die Richtungen zu kombinieren. Mit seinen Wanderschuhen und seinem alten Dufflecoat fällt Yves an ihrer Seite leicht aus dem Rahmen. Gerne würde sie ihn von Kopf bis Fuß einkleiden, aus ihm einen »pointierten«, eleganten Mann machen. Sie hat ihn schon beeinflusst: Er trägt jetzt gelegentlich schöne Schuhe, dunkle Hemden, Hosen mit Bundfalten. Das Schauspiel, das Anna in einer Boutique abgibt, dieser ohne Komplexe zur Schau getragene Narzissmus,belustigt Yves mehr, als dass es ihn ärgert. Er ahnt, dass sie herausfinden will, wie weit er diese Sucht aushält, diese Abhängigkeit von einer, wie sie es nennt, »Ästhetik«, von der sie auf keinen Fall ablassen will.
    Anna will gefallen, will nicht darauf verzichten, weder heute noch später, wenn das welke Alter ihr droht. Sie mag Frauen, die hartnäckig dagegen ankämpfen, die mit sechzig der Ungerechtigkeit des Alters Widerstand leisten. Sie findet es nicht lächerlich, bis zum Ende zwanzig Jahre alt sein zu wollen. Und sie ist auf der Hut. Eines Mittags geht Anna an Yves’ Arm durch die Rue Oberkampf, als er eine Freundin trifft. Die Frau ist noch jung, sehr schlank, sieht sportlich aus. Plötzlich zeigt sich ein Sonnenstrahl in seiner ganzen Grausamkeit: In seinem Lichte und unter diesem Blickwinkel wirkt die weiße Haut der Frau wie empfindliches und altes Pergamentpapier. Anna bekommt eine Gänsehaut. Sobald sie sich von der Freundin verabschiedet haben, eilt Anna in eine Parfümerie und kauft eine Feuchtigkeitscreme.
    An

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