Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
hin.
»Was sagst du jetzt?«
Beifall heischend wartete er auf meine Reaktion. Ich betrachtete die Fotos zunächst ohne Regung. Eleonore Stehlerwar zu erkennen. Auf einem Foto stand sie vor einem Porsche und lachte in die Kamera, auf dem anderen stand sie in einem Abendkleid
neben einem Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Ich ließ die Fotos sinken und hob die Schultern.
»Eleonore Stehler. Ja und?«
Gisbert beugte sich hektisch vor und legte seinen Zeigefinger auf das Gesicht des Mannes.
»Und ihr Mann.«
Er hatte diese drei Wörter ausgestoßen, als hätte er die größte Entdeckung aller Zeiten gemacht. Ich konnte ihm nicht folgen,
was er mir ansah. Also ging er in die Knie und arbeitete sich durch den nächsten Stapel, dieses Mal auf dem Fußboden. Er fand
wieder, was er suchte, strich einen Zeitungsartikel glatt und schob ihn mir hin.
Er enthielt dasselbe Foto, Eleonore neben dem mir fremden Mann, dieses Mal mit einer Bildunterschrift: »Düsseldorfer Unternehmer
Jürgen Stehler mit Gattin Eleonore bei der Eröffnung des neuen Firmensitzes an der ›Kö‹«. Ein gut aussehendes Paar, was auch
immer mir das sagen sollte. Ich schob den Artikel zurück.
»Gisbert, was ist denn daran so sensationell?«
Gisbert beugte sich wieder vor und presste die Antwort durch die Zähne.
»Sie ist mit einem anderen Mann hier. Sie ist eine Ehebrecherin.«
Zur Bekräftigung warf er mir ein weiteres Bild zu. Es musste gestern Abend aufgenommen worden sein. Eleonore, vor sich einen
Toast Hawaii, neben sich Gregor Morell, der gerade ihren Hals küsste. Dieses Bild sollte sich meine Schwester mal angucken.
Dringend. Ich schluckte einen Kommentar runter und behielt den Abzug in der Hand.
»Vielleicht ist Frau Stehler mittlerweile geschieden. Aber das ist doch auch egal. Du betreibst billigen Paparazzi-Journalismus.
So was geht dich überhaupt nichts an.«
»Doch.«
Bevor er es begründen konnte, klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer ab, nachdem er auf das Display geschaut hatte. Ich
ließ das Foto unauffällig in meine Jackentasche gleiten.
»Hallo, Mutti.« Gisbert bedeckte mit der Hand den Hörer und sah mich bedauernd an. »Entschuldige, kann ich eben …«
Ich stand schon. »Ich muss sowieso los. Also, wir sehen uns.«
»Aber ich wollte dir doch noch …«
Noch ehe er seinen Satz ausgesprochen hatte, war ich schon an der Tür.
»Tschüss, Gisbert.«
Als ich die Tür zuziehen wollte, hörte ich ihn sagen: »So, Mutti, da bin ich wieder, ich musste schnell meine Freundin verabschieden.«
Ich zog die Tür etwas lauter zu als nötig.
Mitten auf der Bank vor dem Denkmal saß eine Gestalt mit einer Schirmmütze, die mir bekannt vorkam. Ich ging langsam auf meinen
Vater zu. Er bemerkte mich gar nicht, sondern starrte vor sich hin. Erst als ich mich neben ihn setzte, hob er den Kopf.
»Christine. Wo kommst du denn so plötzlich her?«
»Was machst du hier?«
»Ich sitze nur so. Und denke ein bisschen nach.«
»Aha.« Ich beobachtete ihn. Er sah nicht traurig oder krank aus, eher ertappt.
»Wieso bist du allein?«
Mein Vater nahm kurz die Schirmmütze ab, strich sich über das Haar und setzte sie wieder auf.
»Mama und Hanna sind noch am Kochen, Kalli hat einen Massagetermin, und sonst kenne ich ja niemanden. Mit wem soll ich mich
denn unterhalten?«
»Papa. Du hast dich beim letzten Mal mit der gesamten Insel verbrüdert. Also: Was machst du hier?«
»Ich sitze.« Mit gespielter Empörung sah er mich an. »Ich bin ein bisschen spazieren gegangen, dann habe ich mir ein Eis gekauft,
danach bin ich wieder spazieren gegangen, und jetzt habe ich mich mal einen Moment hingesetzt. Das ist ja wohl nicht ungewöhnlich.«
Es war ungewöhnlich. Zumindest der Platz, an dem er saß. Hätte er auf einer Bank auf der Promenade gesessen und aufs Meer
geschaut, wäre ich nicht so skeptisch gewesen. Ich sah mich um und überlegte, was hier in der Nähe sein könnte. Es fiel mir
schnell ein: die Seilerstraße, in der Pierre wohnte.
»Warst du bei Pierre?«
»Was soll ich denn wohl bei Pierre?«
Treffer. Immer wenn mein Vater ganz schnell und ziemlich laut antwortete, sagte er nicht ganz die Wahrheit. Außerdem würde
er gleich abrupt das Thema wechseln.
»Ach, übrigens, kommt Johann eigentlich irgendwann mal aus Schweden zurück?«
Versenkt. Er log. Und ich überlegte, was mein Vater wohl in Wirklichkeit hier vorhatte.
»Bestimmt, Papa. Auf wen wartest du eigentlich?«
»Ich?«
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