Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
du eine Redaktion, kennst du alle.«
Er irrte. So etwas hatte ich, außer in Fernsehreportagen über Messies, noch nie gesehen. Auf jedem Quadratzentimeter türmten
sich Papier, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Notizzettel. Die Regale waren vollgestopft mit Ordnern, an den Haken an
einer Wand hingen mindestens zehn Jacken, fünf Regenschirme und diverse Beutel und Taschen. Drei Motorradhelme lagen auf einer
Fensterbank, darunter standen verschiedene Paar Schuhe, alles ähnliche Modelle. In den Ecken stapelten sich diverse Werbegeschenke,
vom Schuhputzset über Pakete mit Kugelschreibern, von Schirmmützen bis hin zu Autokarten und Wolldecken. Über dem Waschbecken
hing ein aufblasbarer Osterhase. Er hatte nicht mehr viel Luft.
Gisbert stellte mir einen Kaffeebecher mit dem Aufdruck »Auricher Weihnachtsmarkt 2003« hin und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl
mir gegenüber.
»Und?«, eröffnete er das Gespräch. »Wie war es noch in der Sauna?«
»Gut.« Ich zwang mich, meine Blicke nicht mehr so auffällig streifen zu lassen und griff nach dem Kaffee. »Du warst ja so
schnell weg.«
»Ich hatte noch einen wichtigen Termin.« Er warf sich in die Brust und deutete auf den Schreibtisch. »Du siehst ja, was hier
los ist.«
Ich betrachtete kurz die aufgeschlagene ›Bunte‹ und dann wieder den daneben liegenden Zettel. Ich musste es herausfinden.
»Schreibst du jetzt auch für die ›Bunte‹?«
»Wie?« Verblüfft starrte er mich an, dann begriff er und lachte albern. »Das wäre schön. Nein, nein, das ist natürlich Recherche,
ich muss ja auf dem Laufenden bleiben.«
»Ach so.« Ich gab mir besonders viel Mühe. »Ich dachte schon, weil auf dem Zettel auch das Wort ›Bunte‹ steht.«
Gisbert krauste die Stirn und sah sich unsicher um. Ich hoffte, er hielt mich tatsächlich für so blöd. Er tat es.
»Ach, den Zettel meinst du. Nein, das heißt nicht ›Bunte‹, das heißt ›Bruhn‹. Ich habe halt so eine Künstlerhandschrift.«
Es war eine schwere Geburt.
»Bruhn.« Andächtig wiederholte ich den Namen, der mir schon wieder Übelkeit bescherte. »Ist das etwa Inselprominenz?«
»Das wird Inselprominenz. Und meine Entdeckung. Der Artikel erscheint morgen.«
Zähneknirschend überlegte ich, wie dämlich ich mich denn noch anstellen müsste, damit Gisbert endlich mit der Geschichte herausrückte.
Aber er machte es mir schwer. Also war ich wieder dran.
»Und was ist das für eine Geschichte von Herrn Bruhn? Oder darfst du nichts sagen?«
Meine Stimme zitterte, Gisbert sah mich fragend an. Ich räusperte mich, trank einen Schluck vom grauenhaftesten Kaffee, den
ich je bekommen hatte, und lächelte mit größter Anstrengung seinen Schöpfer an.
»Darfst du nicht?«
»Ähm, doch, also, wieso soll ich nicht dürfen?«
Kraftlos hob ich nur die Schultern. Gisbert nahm den Zettel in die Hand und fächerte sich damit Luft zu.
»Frau Bruhn.«
Ich zuckte zusammen, der furchtbare Kaffee kam ins Schwappen. »Was?«
»Es geht um Frau Bruhn. Ihr Bruder ist hier Anwalt. Sie ist Vorsitzende im Kleingartenverein. Verwitwet. Sie wird den größten
Kürbis in der Geschichte der Insel ernten. Und wenn das alles stimmt, sogar in der Geschichte Ostfrieslands. Vielleicht bringt
sie es bis ins Guinessbuch. Ist das nicht super?«
Meine Gesichtszüge entgleisten mir spürbar. Die Welle der Erleichterung versöhnte mich mit dem Kaffee, mit diesem Messiebüro
und obendrein mit Gisbert von Meyer. Ich lächelte ihn breit und herzlich an, was ihn wiederum irritierte.
»Ich liebe Kürbissuppe.«
Wenn er mir jetzt vorschlagen würde, gemeinsam eine zu kochen, würde ich annehmen. Ich riss mich zusammen und schob den Kaffeebecher
weit von mir.
»Das ist ja eine wirklich interessante Geschichte. Danke für den Kaffee, Gisbert, aber ich muss jetzt los.«
»Nein.« Er sprang auf und stützte seine Arme auf den Tisch. »Ich denke, du wolltest noch etwas sehen. Glaube nicht, dass ich
nur über Kürbisse schreibe.«
Ich verkniff mir ein »Leider«, blieb aber zuversichtlich, dass gerade eben die größte Gefahr gebannt worden war. Also lehnte
ich mich entspannt an die etwas klebrige Stuhllehne und wartete auf die große Enthüllung. Sie blieb auch nicht aus.
Gisbert wühlte sich durch diverse Stapel und fand endlich, was er suchte. In einer Folie steckten Fotos. Er betrachtete sie
mit einem zufriedenen Gesicht, dann sah er mich triumphierend an und hielt mir seine Errungenschaft
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