Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
gespürt, dass dies mein Glückstag wird. Darf ich mich setzen?«
Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern warf sich mit begeistertem Blick neben mich auf die Bank. Sein Hals war von blassroten
Flecken übersät, sein dünnes rotes Haar lag eng am Kopf, bis auf eine Strähne, die senkrecht hochstand und sich bei jeder
seiner Kopfbewegungen sanft nach links, rechts, vorn und zurück neigte. Er trug eine karierte Bundfaltenhose, ein weißes,
kurzärmeliges Hemd und einen gelben Pullunder. Dasselbe Gelb wie die Frotteeschweißbänder um seine Handgelenke. Ines starrte
ihn ungläubig an, vermutlich hatte ich im letzten Sommer genauso geguckt, als ich ihn das erste Mal getroffen hatte. Aber
irgendwann gewöhnte man sich dann an seinen Anblick. Es blieb einem auch nichts anderes übrig.
»Ines, darf ich vorstellen: Gisbert von Meyer, Reporter bei der ›Norderneyer Inselzeitung‹, Gisbert, das ist meine Schwester
Ines.«
»Oh, sehr erfreut. Langsam kenne ich die ganze Familie, wie ist das schön. Ich habe mich ja im letzten Sommer sehr gut mit
Ihrem Vater angefreundet, ach, wir hatten eine so gute Zeit. Darf ich ›du‹ sagen?« Ines schluckte stumm, Gisbert freute sich.
»Dann haben wir das auch, ich heiße Gisbert, ohne Abkürzung bitte, aber das hat Christine ja schon erwähnt. Und? Ihr habt
so gelacht? Freut ihr euch so auf ein paar Tage Ferien? Wie lange bleibt ihr denn? Sag mal, Christine«, suchend sah er sich
um, »ist dein Freund, wie heißt er noch … Jakob? … Jan?«
Als ob dieser Blödmann den Namen vergessen könnte, er hatte Johann tagelang als mutmaßlichen Heiratsschwindler verfolgt und
dabei sowohl sich als auch meinen Vater zum Affen gemacht.
»Johann, er heißt Johann. Ich dachte, du hast als Reporter so ein gutes Gedächtnis?«
Gisbert strahlte mich unbekümmert an. »Schon, aber solche Allerweltsnamen? Na ja. Aber wo ist er denn? Oder seid ihr nicht
mehr zusammen?« Er rutschte mir noch dichter auf diePelle, seine Augen glänzten. »Ich fand damals schon, dass ihr überhaupt nicht zusammenpasst. Aber du wolltest ja nicht auf
mich hören.«
Diese Indiskretion war meiner Schwester sichtlich zu viel. »Johann kommt nach«, sagte sie etwas schnippisch, »darauf freuen
wir uns auch. Und Sie, ähm, du bist hier Reporter?«
»Ja«, Gisbert schraubte seine schmächtige Figur so hoch es nur ging, »wobei mir der Begriff ›Journalist‹ lieber ist.«
Ich fand sein Lächeln genauso schmierig wie im letzten Jahr. Und ich stellte erstaunt fest, dass er einen Bauch bekommen hatte,
Beinchen wie Streichhölzer, aber einen Bauch. Zu viele Feierabendbierchen, vermutete ich, oder zu viel Softeis.
»Und außerdem«, fuhr er fort, »bin ich auf dem Weg, freier Schriftsteller zu werden. Ich arbeite gerade an meinem ersten Roman.«
»Ach was.« Das Interesse meiner Schwester hielt sich in Grenzen. Enttäuscht wandte sich der Jungautor mir zu. »Es wird ein
Enthüllungsroman.«
»Oh.« Höflich suchte ich nach einer geeigneten Antwort. »Das ist ja sehr interessant. Was enthüllst du denn?«
Er beschrieb mit seinen kleinen Händen einen großen Kreis. »Alles. Die Insel, die Menschen, die Gäste. Das wird Furore machen,
das wird ein Bestseller.«
Bei der Vorstellung, was Gisbert von Meyer machen würde, wenn er herausbekäme, was mit Marleen passiert war, wurde mir ganz
übel. Ich fixierte Ines mit dem schärfsten Blick, den ich draufhatte, sie reagierte überhaupt nicht. Stattdessen fragte sie
Gisbert: »Und wie weit bist du schon?«
»Ich stecke mitten im Schaffensprozess. Ich komme gerade aus Hamburg, wo ich Gespräche mit Verlagen geführt habe. Mehr kann
ich dazu nicht sagen. Und ihr? Ihr wohnt ja bestimmt bei Marleen. Ich dachte, sie wäre noch im Urlaub?«
»Da bleibt sie auch noch.« Die Antwort meiner Schwesterverursachte bei mir einen Schweißausbruch. »Christine arbeitet zwei Wochen lang für sie. Oder vielleicht auch noch länger.«
Mit offenem Mund starrte ich sie an und fragte mich, ob sie verrückt geworden war.
Gisbert konnte wenigstens reden. »Warum das denn?« Er erwartete eine Antwort von mir, ich hatte aber keine. Was war bloß in
Ines gefahren? Die lehnte sich ganz entspannt zurück und antwortete: »Ihr seid quasi Kollegen. Christine arbeitet ja wieder
bei einer Frauenzeitschrift.«
So konnte man das auch nennen, ich schrieb eine Kolumne pro Monat. Für einen Hungerlohn.
»Und die haben jetzt eine Serie gestartet, in der sie
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