Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Marleen sich dabei gedacht hat.«
Eine Stunde, eine Kanne Kaffee und drei Bier später griffen auch Ines und ich zu einer Notfallzigarette. In unseren Köpfen
hatte es schon viel früher zu rauchen begonnen. Ines grübelte immer noch über die Logik des Reservierungsbuches. Ichblätterte die Einkaufslisten der letzten Woche durch und versuchte auszurechnen, wann, wie viel und wie oft jemand von uns
was einkaufen musste. Gesa schrieb wichtige Telefonnummern zusammen, die Marleen anscheinend immer im Kopf hatte. Irgendwann
ließ ich die Listen sinken und starrte in den Garten. Es war furchtbar. Wir hatten überhaupt keine Ahnung, und wir konnten
auch niemanden fragen.
»Gut, dass ich meinen Laptop mithabe«, riss mich Ines aus meinen panischen Gedanken, »ich werde diese ganzen Daten als Exceldatei
einrichten. Das macht mich so wahnsinnig, durch dieses Geschreibsel blickt doch niemand durch. DZG, EM, DZM, was soll das
denn alles bedeuten? Und die Schrift kann auch keine Sau lesen.«
»Doppelzimmer zum Garten, Einzelzimmer mit Meerblick, Doppelzimmer mit Meerblick«, antwortete Gesa wie automatisch, »und ich
gehe jetzt in die Küche. Heute haben wir noch Glück, Theda hat Roastbeef vorbereitet und Suppen. Das brauchen wir nur warm
zu machen. Und für morgen müssen wir uns echt was ausdenken.«
Sie sah mich dabei so verzweifelt an, dass ich unwillkürlich in einen aufmunternden Ton verfiel.
»Ach, da fällt uns schon was ein. Kochen können wir ja.« Mit einem gezielten Tritt ans Schienbein meiner Schwester verhinderte
ich, dass Gesa noch verzweifelter wurde. Ines schloss sofort den Mund. »Ich komme gleich nach.« Mein Ton war munter, der Blick
auf Ines fest.
»Gut, bis gleich.«
Wir sahen ihr nach, bis sie um die Ecke verschwunden war, dann sagte ich: »Sie ist 24 Jahre alt, ich will sie nicht überfordern. Wenn sie auch noch ausfällt, können wir alles vergessen.«
»Du kannst trotzdem nicht kochen.«
»Ines, wir
müssen
! Marleen hat doch bestimmt irgendwo Kochbücher stehen und ansonsten kaufen wir morgeneins. Meine Güte, das haben wirklich schon ganz andere geschafft.«
Meine Schwester klopfte dreimal auf den Holztisch. Dann lächelte sie.
»Ich könnte schreien«, sagte sie, »aber was soll’s? Ich hole mal meinen Laptop.«
Als auch sie im Haus verschwunden war, zog ich mein Handy aus der Tasche und versuchte erneut, Johann zu erreichen. Dieses
Mal hatte ich Glück, er meldete sich nach dem zweiten Freizeichen.
»Hallo, Christine. Ich war den ganzen Tag unterwegs und gegen Mittag hat mein Akku seinen Geist aufgegeben. Mein Ladekabel
war natürlich zu Hause und …«
»Ich bin auf Norderney.«
Das Ladekabel war mir im Moment so was von egal, das konnte er sich überhaupt nicht vorstellen.
»Echt? Ich dachte, du wolltest nach Dänemark.«
»Marleen hängt im Urlaub fest. Sie ist zusammen mit ihrem neuen Freund, von dem keiner wissen darf, nach Dubai geflogen und
kann, aus welchen Gründen auch immer, nicht zurück. Deshalb vertrete ich sie.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch.«
Johann schwieg sekundenlang. Minutenlang. Dann räusperte er sich.
»In Dubai? Das klingt nicht gut. Was heißt, sie kann nicht zurück? Hast du mit ihr selbst gesprochen?«
»Marleen hat mich gestern Abend angerufen, ich habe mich mit einem Anwalt aus Oldenburg besprochen, der versucht, alles zu
regeln. Und ich bin jetzt mit Ines auf Norderney, um hier den Laden zu schmeißen.«
»Könnt ihr das denn?«
Das war die blödeste Frage, die er in dieser Situation stellen konnte.
»Natürlich. Ines und ich sind ja beide ausgebildete Hotelfachfrauen und haben uns bislang in den großen Hotels, in denen wir
gearbeitet haben, Hunderte von Sternen zusammengekocht. Sag mal, was ist das für eine bescheuerte Frage? Ich habe immer nur
im Verlag gearbeitet, und meine Schwester macht kleine Kinder gesund. Wir haben keine Ahnung, hörst du? Überhaupt keine. Und
niemand darf wissen, was los ist, das habe ich Marleen versprochen. Hier wohnen ungefähr zwanzig Leute, die wir alle bekochen
müssen, kannst du mir mal sagen, wie?«
Johann lachte leise. Das war wiederum die blödeste Reaktion, die er in dieser Situation zeigen konnte. Meine Laune sank unaufhaltsam.
»Und was daran komisch ist, verstehe ich im Moment auch nicht und …«
Den Rest des Satzes schluckte ich runter, es machte wenig Sinn, ihn wüst zu beschimpfen. Dafür war Schweden zu weit weg.
»Du regst dich so
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