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Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa

Titel: Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dora Heldt
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ich
     verstand die Witze irgendwann gar nicht mehr, während meine Schwester vor Lachen fast vom Hocker fiel. Das war der Unterschied
     zwischen Tequila Sunrise und alkoholfreiem Bier. Und sieben Jahren. Und der großen und der kleinen Schwester.
    »Sie ist eine Spaßbremse, Pierre«, hatte Ines zu ihm gesagt, »Christine hat wieder Angst, morgen früh zu verschlafen und ihre
     Pflichten nicht zu erfüllen. Hast du schon mal ihre Zornesfalte bemerkt?«
    Zu müde, um mich auf eine Diskussion einzulassen, aber trotzdem um einen würdevollen Abgang bemüht, hatte ich mich abrupt
     vom Barhocker geschwungen und zu Pierre gesagt: »Die Spaßbremse hat kein Kleingeld dabei, die Partymaus kann für mich mitbezahlen.
     Gute Nacht.« Ines hatte gelacht.
    Ich streckte mich nach der Wasserflasche, die neben meinem Bett stand. Natürlich neben Marleens Bett. Mein Herz klopfte wieder
     schneller. Jetzt war die Katastrophe schon beinaheeine Woche her und noch immer waren wir nicht weiter. »Es ist nun mal ein laufendes Verfahren.« Diesen Satz ließ Kühlke in
     fast jedem Telefonat fallen. Übersetzt hieß das einfach nur: »Ich habe immer noch keine Ahnung, was eigentlich los ist. Und
     ich habe genauso wenig Ahnung, wie lange das Ganze noch dauert.« Angeblich tat er, was er konnte, das Ergebnis blieb trotzdem
     dünn. Und ich konnte überhaupt nichts tun. Lediglich hoffen und warten. Ich würde später in der Kanzlei anrufen. Vielleicht
     gab es ja heute mal etwas Neues.
     
    Auf dem Weg von der Bar zu Marleens Wohnung hatte ich noch mit Johann telefoniert. Es war weder ein aufbauendes noch ein ergiebiges
     Gespräch gewesen. Anscheinend war ihm das Ausmaß dessen, was meine Schwester, Gesa und ich hier versuchten, auf die Reihe
     zu bekommen, überhaupt nicht bewusst.
    »Ihr habt doch jetzt einen Koch«, hatte er gesagt, »und ich würde sowieso dieser Adelheid die Wahrheit sagen. Meine Güte,
     Marleen hat Schwierigkeiten mit den Behörden in Dubai und kommt später, das ist doch nicht so schlimm.«
    »Johann, sie wird da festgehalten und sowohl der Anwalt aus Dubai als auch Kühlke haben gesagt, dass wir mit niemandem darüber
     reden sollen.«
    »Das müsst ihr selbst wissen«, war seine lapidare Antwort. »Und die Pension kriegt ihr doch zu dritt hin. ›Haus Theda‹ ist
     ja nun kein Grandhotel. Ich versuche, am übernächsten Wochenende zu kommen. Falls du noch auf Norderney bist, kann ich ja
     bis Bremen fliegen und mir dann einen Leihwagen nehmen. Vielleicht haben wir auch noch Glück mit dem Wetter.«
    »Johann, ich mache hier keinen Urlaub. Ich   …«
    Ein unangenehmer Piepton signalisierte mir, dass mein Akku leer war. Das war vermutlich ganz gut so. Ich hätte sonst wieder
     gestritten.
     
    Meine Blase drückte jetzt dermaßen, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte. Vorsichtig und jedes Geräusch vermeidend, stand
     ich auf und schlich auf Zehenspitzen ins Bad. Im Grunde hätte ich mir diese Mühe nicht machen müssen, denn meine Schwester
     schlief wie ein Bär. Das war offenbar so, wenn man als Kind die Gewissheit hatte, von mindestens drei Menschen mindestens
     über eine Stunde hinweg geweckt zu werden. Der Satz: »Guckst du mal, ob Ines schon wach ist« hat mich genauso durch meine
     Kindheit und Jugend begleitet wie dieser andere: »Beug mal den Kopf über den Teller, du krümelst.«
    Ines wurde früher zuerst geweckt, dann mein Bruder, dann ich. Nicht weil ich am längsten schlafen sollte, sondern weil ich
     am schnellsten hochkam. Und weil Georg und ich danach alle fünf Minuten vor dem Bett unserer Schwester stehen mussten, um
     gebetsmühlenartig zu sagen: »Ines, aufstehen.« Sie tat es nie, nur weil wir es wollten.
    Jetzt schlief sie nebenan. In einer halben Stunde würde ich wieder vor ihrem Bett stehen. Als ich aus dem Bad kam, öffnete
     sich die Tür, und Ines stand vor mir. Sie trug ein weites T-Shirt in Giftgrün mit der Aufschrift: »Furchtbar gute Laune«.
    Ihre Haare standen wild in alle Himmelsrichtungen ab, ihre Augen waren nur zwei Schlitze und über die linke Wange lief eine
     tiefe Schlaffalte.
    »Morgen«, murmelte sie und öffnete ein Auge etwas weiter, um mich anzusehen. Sie hatte genau dasselbe Kinderschlafgesicht,
     das ich an ihr seit fast vierzig Jahren kannte. Plötzlich sah sie wieder aus wie meine kleine Schwester. Und ich wurde von
     einer Welle zärtlicher Rührung erfasst, so sehr, dass ich mich räuspern musste.
    »Bist du fertig auf dem Klo?« Sie schlurfte zwei

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