Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Schritte auf mich zu und öffnete auch das zweite Auge.
»Wie?«
»Ob du fertig bist?« Ines legte die Hand an meine Hüfte und schob mich zur Seite. »Dann kannst du mich ja mal vorbeilassen.
Ich muss.«
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Und ich bekam meine Rührung in den Griff.
Da sie nun schon wach war, konnte ich auch Kaffee kochen. Während ich das Kaffeepulver in die Filtertüte löffelte, kam Ines
aus dem Bad. Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr, gähnte mit aufgerissenem Mund und ausgestreckten Armen und ließ sich
auf einen Stuhl fallen.
»Für eine halbe Stunde lohnt es sich ja gar nicht mehr, wieder ins Bett zu gehen. Wieso bist du denn schon hoch? Senile Bettflucht?«
Meine Rührung war wie weggewischt. »Schlechte Träume. Mir ist erst Johann in der Wüste erschienen und dann Marleen hinter
Gittern.«
»Das kommt vom alkoholfreien Bier und fünf Tassen Kaffee. Selbst schuld. Du hättest mal Pierres ›Swimmingpool‹ probieren sollen.
Danach kannst du schön schlafen.« Sie gähnte wieder. »Schön lange schlafen wäre noch besser.«
»Wann warst du denn wieder hier?«
»Keine Ahnung. So um …?« Sie öffnete die Kühlschranktür, um die Milch herauszunehmen. »Es war wirklich sehr lustig. Wir waren noch in der ›WunderBar‹
und haben einen Absacker getrunken. Da saß übrigens Gisbert von Meyer mit einem Kollegen, den er zugequatscht hat. Der sah
völlig verzweifelt aus. Ich habe ihm ein Bier ausgegeben.«
»Gisbert von Meyer?«
»Nein, dem Kollegen. Dafür hat er Pierre und mich fotografiert.«
»Ein Foto von euch beiden, betrunken in der ›WunderBar‹? Ist das dein Ernst?«
Ines streckte sich. »Wir waren nicht richtig betrunken. Pierre sowieso nicht, der hat ja den ganzen Abend gearbeitet.Und ich hatte höchstens einen ganz Kleinen im Kahn. Sogar meine Frisur saß.«
»So wie jetzt?« Ich musterte sie kurz, bevor ich Kaffee einschenkte und ihr die Tasse hinstellte. Ines fuhr mit beiden Händen
durch ihr Haar. »Nein. Besser. Mach dir keine Sorgen, du wirst dich bei niemandem entschuldigen müssen.«
»So war das ja gar nicht gemeint. Willst du einen Toast?«
»Nein.« Sie schüttelte sich. »Essen kann ich noch nicht. Wieso bist du gestern denn so früh gegangen? Warst du sauer?«
»Nein.« Mit der Tasse in beiden Händen setzte ich mich ihr gegenüber. »Ich war nur müde. Mich strengt diese ganze Geschichte
mehr an, als ich dachte.«
Ines blies in die Tasse und sah mich über den Rand an.
» Die
Geschichten. Du machst dir über alles zusammen zu viele Gedanken. Du musst das mal ein bisschen sortieren.«
»Wie meinst du das?«
»Die Pension, Marleen, Hans-Jörg, die Geheimniskrämerei, Johann, dass wir nicht wissen, wie lange wir hierbleiben werden,
Adelheid, die Reste im Kühlschrank, das Rechnungsprogramm und, und, und. Du machst dir über alles gleichzeitig Sorgen. Du
bist wie Papa.«
»Vielen Dank auch.« Ich drehte mich zur Kaffeemaschine, um nachzuschenken.
Wie Papa! Das lag vermutlich an ihrem Restalkohol, das war ja völliger Schwachsinn.
»Nein, im Ernst, Christine. Papa behandelt auch immer alle Probleme gleichzeitig. Das kostet nur Nerven. Für Marleen kannst
du nichts tun, außer ab und zu mit Kühlke zu telefonieren, abzuwarten und den Mund zu halten. Darüber brauchst du dir auch
gar keine weiteren Gedanken zu machen. Erstes Problem gelöst.
Johann ist nicht hier, sondern weit weg. Wenn er dich nervt, dann rufe ihn eben nicht mehr an. Über ihn kannst dudir Gedanken machen, wenn du ihn siehst, aber nicht jetzt. Zweites Problem gelöst.
Hans-Jörg und Adelheid kriegen wir in den Griff, darüber habe ich schon nachgedacht, musst du jetzt auch nicht mehr tun. Drittes
Problem gelöst.
Das Rechnungsprogramm und die Rezeption mache ich gerne allein. Wenn du länger bleiben musst als ich kann, erkläre ich es
dir. Das ist ganz einfach, aber auch darüber musst du jetzt nicht nachdenken. Also: viertes Problem gelöst.
Bleibt noch die Arbeit in der Pension, und ich finde, dass wir das bislang doch ganz gut hingekriegt haben. Und es macht eigentlich
auch Spaß. Darum kannst du dich kümmern, aber die anderen Probleme lösen wir später. Ganz einfach.«
Ines sah mich entschlossen an, und ich nahm mir vor, nie wieder zu denken, dass meine Schwester morgens nicht in die Gänge
käme.
»Möchtest du noch einen Kaffee?«
»Heißt das: Du hast recht?«
Ich nickte. Sie schob mir ihre Tasse zu.
»Dann gerne. Und danach
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