Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Schule gegangen. Wir haben uns gestern in der Küche getroffen. Seine Mutter hatte sich ausgesperrt.«
»Echt?« Ines schob mich zur Seite. »Jetzt ist er weg. Aus der Schule? Das ist ja witzig. Wie alt wart ihr denn da?«
»Ich war sechzehn.« Ich brauchte nicht zu überlegen. »Und er war zwei Klassen über mir.«
»Den Namen habe ich noch nie gehört.« Ines ging zum Schrank. »Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern.«
»Du warst neun. Dein Interesse an meinem Liebesleben war nicht besonders ausgeprägt.«
»Liebesleben?« Ines ließ die Jeans, die sie in der Hand hatte, sinken. »Du mit dem? Erzähl mal. Jetzt wird es hier ja richtig
spannend.«
»Ach, ich …«
Ein ohrenbetäubender Lärm zerriss die Stille. Wir fuhren beide zusammen, hörten etwas dumpf aufschlagen und Glas splittern.
»Was war das denn?«
Ohne nachzudenken rannte ich die Treppe runter in die Pension. Meine Schwester folgte mir.
»Es riecht aber nicht nach Feuer«, brüllte sie, noch bevor wir unten waren. Im Gastraum war nichts, im Flur irrten nur die
ersten erschrockenen Gäste umher.
»Was ist los?«
Guntram Bernd stand im Bademantel in seiner Zimmertür.
»Keine Ahnung«, rief Ines ihm zu, »bestimmt nichts Schlimmes.«
»Seien Sie vorsichtig.«
Wir hatten keine Zeit. Ich war als Erste an der Küche und riss die Tür auf. Ich erwartete, einen explodierten Gasherd oder
ein zerschossenes Fenster vorzufinden. Der Anblick, der sich mir bot, war ähnlich. Der Fußboden war übersät von zersplittertem
Glas. Überall lagen Scherben.
»Wow!« Schwer atmend war Ines hinter mir stehen geblieben. »Was ist denn hier passiert?«
»Der Schrank.« Ich ging vorsichtig über den Scherbenteppich bis zu den Überresten des Wandschranks. Es war ein großer Hängeschrank
gewesen, in dem das gesamte Frühstücksgeschirrund alle Gläser verstaut gewesen waren. Aus mir unerklärlichen Gründen war er einfach von der Wand gefallen. So wie es hier
aussah, war nicht ein einziges Teil heil geblieben.
Ines musterte die Löcher in der Wand. »Den hat es richtig rausgerissen.« Sie schüttelte ratlos den Kopf. »Entweder war das
Pfusch, oder es war zu viel drin.«
»Um Himmels willen.« Die beiden Frauen aus Zimmer9 standen in der Tür. »Ist jemand verletzt? Wir wollten nur mal gucken, was
hier so gescheppert hat.«
»Nur Porzellanleichen.« Ines schob mit dem Fuß halbe Tassen zur Seite. »Der Frühstücksraum ist Gott sei Dank schon eingedeckt.
Alles in Ordnung. Danke, aber vielleicht können Sie die anderen Gäste, die noch auf dem Flur stehen, beruhigen. Bis später.«
Die beiden zogen wieder ab. Ines sah an sich hinunter und dann mich an, bevor sie anfing zu lachen.
»Was ist denn an diesem Chaos komisch?«
»Wir hätten uns anziehen sollen.«
Betreten musterte ich unser Outfit. Diese Schlafanzüge waren zwar äußerst bequem, wir hatten sie aber vor etwa zehn Jahren
von unserer Mutter zu Weihnachten bekommen. Beide dasselbe Model, Ines hatte es in Blau-Weiß, ich in Rot-Weiß kariert. Und
so waren wir an den Gästen vorbeigerannt. Sie hatten vermutlich gedacht, sie hätten eine Erscheinung. Ich zuckte lässig mit
den Schultern.
»Na und? Das war ein Notfall. Es hätte ja auch brennen können. Und jetzt müssen wir hier erst mal aufräumen.«
Plötzlich hörte ich eine Tür schlagen und jemand in ein Taschentuch schnäuzen. Ich stellte mich hinter die Küchentür und flüsterte:
»Ich gehe gleich hoch und ziehe mich an.« Als die Schritte verklungen waren, bewegte ich mich vorsichtig über die Scherben.
Ines folgte mir.
»Wir waren bei deinem frühen Liebesleben unterbrochen worden. Übrigens: Scherben bringen Glück.«
Ich band mir gerade die Schnürsenkel der Turnschuhe zu, als ich Tumult auf der Treppe hörte.
»Christine? Christine! Schnell! Wo bist du denn?«
Ines ging bereits zur Tür. »Warum ist der bloß immer so hektisch?«
Gisbert von Meyer schoss völlig aufgelöst in den Flur. »Es wurde eingebrochen. Alles kurz und klein geschlagen. Ich habe schon
die Polizei angerufen. Kommt schnell runter. Aber wir haben einen großen Ermittler im Haus, wir werden das aufklären. Ach
Gott, die ganze Küche ist verwüstet.«
Ich stand langsam auf und stopfte mein T-Shirt in die Jeans. »Es ist bereits aufgeklärt, Gisbert, du kannst die Polizei wieder abbestellen.«
»Was?«
»Es war der Wandschrank.« Ines ging an ihm vorbei. »Der ist hin. Wir haben schon geguckt. Keine Gefahr mehr. Kommst
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