Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
konnte, verstummte das Signal. Wach war ich trotzdem. Ich setzte mich auf und sah auf die Uhr. Es war halb sechs. Auf dem
Display stand Johanns Nummer, ich drückte auf die grüne Taste und hatte seine Stimme im Ohr.
»Guten Morgen. Du musst doch sowieso gleich aufstehen, oder? Ich kann dich tagsüber ja so schlecht erreichen.«
»Hallo.« Umständlich zog ich das Kopfkissen hoch und stopfte es mir in den Rücken. »Der Wecker hätte tatsächlich gleich geklingelt.
Auf die halbe Stunde kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich bin nur noch nicht ganz wach.«
»Wie geht es dir denn?« Johanns Stimme klang besorgt. »Hast du was von Marleen gehört?«
»Nichts Neues.«
Verschlafen versuchte ich, den gestrigen Tag zusammenzufassen, ich erzählte von meiner Mutter, von Hanna und Adelheid, erwähnte
das »Toskanische Olivenhähnchen« und Guntram Bernd. Nur Tom ließ ich aus, ich wusste selbst nicht genau, warum.
»Und dann hat Gesa gemutmaßt, dass Marleen wohl doch richtige Probleme hat. Weil Kühlke nichts Neues hört. Glaubst du das
auch?«
Johann überlegte nicht lange. »Keine Ahnung. Das wird sich bestimmt irgendwann herausstellen.«
Ich bekam schon wieder schlechte Laune. Was war das denn für eine Reaktion?
»Es interessiert dich nicht besonders, oder?«
Schon sein Räuspern klang genervt. »Christine, du neigst zum Dramatisieren, ich kann doch nicht wissen, was mit Marleen los
ist. Vermutlich klärt sich alles ganz banal auf. Und es kann doch nicht so schlimm sein, ein paar Tage eine kleine Pension
zu schmeißen. Ihr seid ja mindestens zu siebt. Das klingt bei dir immer alles nach Weltkatastrophe.«
Mein Magen zog sich zusammen. Zu viele schlechte Gedanken und Schwingungen. Ich atmete tief durch die Nase ein und durch den
Mund wieder aus. Keine Szene, keine Tränen, das verbot ich mir. Nicht um diese Uhrzeit und nicht am Telefon.
Johann schwieg und wartete ab. Ich schwieg auch.
Dann sagte er: »Kommt da noch was?«
»Wieso?«
Er lachte leise. »Jetzt sei nicht so empfindlich. Es passieren doch auch bestimmt nette Dinge, erzähl die doch mal.«
Sollte ich ihm brühwarm berichten, dass ich meine erste Liebe nach dreißig Jahren wieder getroffen hatte? Das würde nach Retourkutsche
klingen. Und außerdem war ich mir noch nicht sicher, wie ich das selbst fand. Vermutlich käme da auch nur eine falsche Antwort.
Stattdessen schluckte ich und antwortete betont sachlich: »Lass uns lieber aufhören. Ich will nicht streiten, und unser Dienst
geht gleich los. Wir können ja heute Abend telefonieren.«
Johann atmete hörbar aus. »Wir haben ein Treffen der Vertriebsleiter hier. Das geht lange. Wenn es nicht zu spät wird, kann
ich dich ja anrufen, ansonsten hören wir uns wieder morgen früh, okay? Ich glaube aber, es wird spät.«
»Macht doch nichts.« Ich beeilte mich mit meiner Antwort. »Dann sprechen wir morgen. Ich will auch nicht so spät ins Bett.«
Wieso war ich eigentlich erleichtert, dass Johann heute keine Zeit mehr zum Telefonieren hatte? Ich starrte auf mein Handy,
das ich immer noch in der Hand hielt, und merkte,dass mir die Tränen hochstiegen. Ich ärgerte mich schon wieder. Über ihn, über die Situation, über dieses Gespräch. Aber was
viel schlimmer war: Die Beziehung mit Johann machte mich immer öfter traurig. Und das wollte ich nicht.
Als ich in Marleens Küche kam, hörte ich Ines’ Wecker läuten und öffnete leise ihre Tür.
»Morgen. Was macht dein Kopf?«
Sie hob ihn kurz und sah mich mit einem geöffneten Auge an.
»Weiß ich noch nicht. Geht, glaube ich.« Sie ließ ihn wieder sinken und öffnete beide Augen. »Mit wem hast du geredet?«
»Mit Johann.«
»Der Schwedenhappen.« Ines warf die Bettdecke zur Seite und streckte ihre Beine in die Luft. »Und? Wann kommt er?«
»Mal sehen. Vielleicht übernächstes Wochenende. Machst du jetzt Frühgymnastik?«
Sie ließ die Beine fallen und stützte sich auf den Arm. »Nein. Blutzufuhr für den Kopf. Wann warst du denn gestern fertig?«
»Um neun.«
Ich trat ans Fenster und blickte nach draußen. Auf dem Weg zur Promenade lief ein einsamer Jogger. Er sah von hier aus wie
Tom. Ich beugte mich nach vorn, um ihn erkennen zu können. Plötzlich stand Ines hinter mir.
»Was ist da? Ach, das ist doch der Sohn. Dessen Mutter dich kennt.«
»Tom Hansen.« Meine Blicke folgten ihm, bis er hinter der Biegung verschwand. Erst danach drehte ich mich zu meiner Schwester
um. »Ich bin mit ihm zur
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