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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Avasthi
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ein Schachbrett aus Kristallglas.
    Vor etwa achtzehn Monaten habe ich angefangen, Damen zu retten. Ich war in der Stadt, hatte gerade den Chicago River überquert, als ich an einem Spieleladen vorbeikam. Drinnen war ein Brett mit Schachfiguren, mitten im Spiel, aufgebaut, als könnte man einfach durchs Fenster greifen und das Spiel fortsetzen. Die Dame wurde bedroht. Ihr Alabastergesicht war streng und unerbittlich, die eine Augenbraue hatte sie hochgezogen. Sie sah aus, als versuchte sie, den angreifenden Springer mit ihrem Blick zu bezwingen.
    Als ich die Tür öffnete, bimmelte ein kleines Glockenspiel, das am Türknauf hing und an den Rahmen stieß. Ich hob die Dame hoch und musterte ihren Mit-mir-ist-nicht-zu-spaßen-Mund. Ich dachte: Ich sollte Schachspielen lernen. Ich dachte: Ich will nicht Schach spielen, ich will nur die Dame. Ich dachte: Ja . Ich ließ sie in meiner Hand verschwinden und ging aus der Tür, vorbei an der nutzlosen Sicherungsschranke.
    Alabaster, der ich den Spitznamen Ally gab, war das erste Stück meiner Sammlung. Abgesehen von Ally habe ich sechs weitere Damen in Chicago zurückgelassen – schwarzes Plastik, Sandelholz, Walnuss, grüner Marmor, ihre Schwester aus weißem Marmor und eine Guinevere aus Zinn, die zu einem Camelot-Schachspiel gehörte. Ich bewahrte sie in einem Fußballstrumpf unter meiner Matratze auf. Ich wünschte, ich hätte sie stattdessen im Auto aufbewahrt.
    Diese Dame ist gesichtslos, hat nur eine Kristallkugel als Kopf, aber ich erkenne sie an ihrer Position auf dem Spielbrett. Sie ist wie ein Edelstein geschliffen und besteht hauptsächlich aus Ecken und Kanten. Das Licht bricht sich in ihrem Körper und wirft winzige Regenbogen auf die Schachbrettfelder. Sie ist ein Prachtstück.
    Ich hebe sie hoch – kalt und schwer liegt sie in meiner Hand. Ich streiche mit den Fingern über ihre Facetten und suche den Laden nach Kameras ab.
    Die Kristalldame ist ein gutes Stück, um meine Albuquerque-Sammlung zu beginnen.
    Die Kasse ist nicht besetzt, Mirriam ist weit genug weg und Kameras kann ich nirgends entdecken. Ich dehne den Bund meiner Hanes-Shorts und lasse die Dame hineingleiten. Ich bin nicht pervers oder so. Ich weiß nur, wie man verhindert, erwischt zu werden. Wer wird mich schon einer Leibesvisitation unterziehen, um eine Schachfigur zu suchen? Die Dame erweckt allerdings den Eindruck, als sei ich noch mehr von der Schöpfung gesegnet, als es ohnehin der Fall ist.
    Ich habe gerade meine Hand wieder aus der Shorts, da taucht ein Mädchen, vielleicht sechzehn Jahre alt, vor mir auf. Ihre schwarzen Haare sind zu einem Bob geschnitten, sodass sie ihr rundes Gesicht umrahmen. Auf dem rechten Oberschenkel ihrer Jeans prangt eine Darstellung von Lady Godiva, die meine Gedanken in eine Richtung lenken, in die sie lieber nicht wandern sollten. Sie schiebt die Ärmel ihres Schlabbershirts hoch und mustert mein übel zugerichtetes Gesicht.
    »Mein Gott, ich möchte nicht wissen, wie der andere Typ aussieht.« Sie scheint nur widerwillig den Mund aufzumachen, während ihr der Satz über die Lippen geht. Vielleicht strebt sie ja eine Karriere als Bauchrednerin an.
    »Autounfall.«
    Nicht gerade eine originelle Lüge, aber sie ist mir aus dem Mund gerutscht, bevor sie mein Gehirn durchlaufen konnte.
    »Bist du okay?«, fragt sie.
    Ich zucke mit den Achseln.
    Sie deutet auf das Schachbrett. »Gefällt es dir?«
    Ich nicke. »Spielst du Schach?«
    »Nee, meine Leidenschaft sind Bücher. Suchst du nach etwas Bestimmtem?«
    »Du arbeitest hier?«, frage ich etwas ungläubig.
    Sie ist so jung. Das letzte Mal, als ich versucht habe, einen Job in einem Buchladen zu bekommen, musste ich drei Vorstellungsgespräche durchlaufen und wurde dann von einem Doktoranden der Universität ausgestochen. Oder einem Studenten. Oder irgend so was.
    »Ja. Mein Dad kennt den Typen, dem das Geschäft gehört. Liest du gerne? Vielleicht würde dir das hier gefallen«, sagt sie und greift nach einem Buch. Ihre Hand holt zu weit aus und wirft einen Springer um. Sie stellt ihn wieder auf und starrt auf das Schachbrett. »Wo ist denn die Dame?«
    Ich hebe die leeren Hände. Sie legt den Kopf schief und mir wird klar, dass ich es gerade vermasselt habe. Ich habe reagiert, als hätte sie mich verdächtigt.
    Sie beugt sich vor und ich rieche Zimt und Regen. Sie bückt sich und sucht den Boden ab wie eine blinde Frau, tastet mit den Händen über den ausgeblichenen, rauen Teppich. Ich knie mich vorsichtig

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