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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Avasthi
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MARATHON trägt. Die Jeans ist zu groß. Ich ziehe meinen Gürtel durch Christians Hose und krempele die Beine hoch.
    Meine schmutzigen Klamotten liegen auf seinem Teppich wie ein überfahrenes Tier. Auf der Suche nach dem Wäschekorb öffne ich den Schrank. Etwas klappert gegen die Innenseite der Schranktür – dort hängen seine gerahmten Diplome.
    Ich bleibe stehen. Das ist das Erste an ihm, was ich wiedererkenne: diese Mischung aus Stolz und Bescheidenheit. Ja, er hängt seine Urkunden auf, aber dort, wo sie niemand sehen kann. Wahrscheinlich starrt er sie jeden Morgen eine Sekunde lang an und macht sich bewusst, wie weit er es seit Chicago gebracht hat, aber ich wette, niemand sonst weiß, dass sie hier hängen.
    Als er in der neunten Klasse war, kam ein Mädchen, das er beeindrucken wollte, in sein Zimmer und lachte darüber, dass er alle seine Urkunden gerahmt und aufgehängt hatte – seine ganze Kindheit verewigt. Er packte all seine Urkunden in einen Karton und versteckte ihn in seinem Schrank. Aber manchmal konnte ich morgens den Pappkarton über den Boden schleifen hören und ich wusste, dass er sich seine Urkunden anguckte.
    Jetzt werfe ich meine Kleidung in seinen Wäschekorb und nehme sein Highschool-Diplom vom Haken. Ich fahre mit dem Daumen über das Glas, das seinen gedruckten Namen schützt: Christian Emerson Witherspoon. The University of Chicago, Laboratory School. Auf dem von der New York University: Christian Emerson Marshall.
    Er sollte eigentlich auf das College der Northwestern University oder der University of Chicago gehen, in der Stadt bleiben. Die New York University war seine dritte Wahl. Ich ließ den fiesen kleinen Bruder raushängen und versteckte den Brief für ein paar Tage. Aber als ich ihn Christian zeigte, pfefferte er ihn einfach auf seinen Schreibtisch. Er hatte schon eine Zusage für die Northwestern bekommen.
    »Auch eine Zusage, stimmt’s?«, fragte er, als ich den Brief wieder aufhob und ihm reichte.
    »Ja«, sagte ich und sah zu ihm auf.
    »Na ja, ist sicher nicht verkehrt, noch ein Eisen im Feuer zu haben«, sagte er und ich wusste, er würde in Chicago bleiben, für weitere vier Jahre in der Nähe sein. Damals dachte ich, es wäre meinetwegen. Ich hatte überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, wohin er vielleicht nach seinem Collegeabschluss gehen würde.
    Jetzt sehe ich mir das Abschlusszeugnis der New York University an und werfe einen Blick auf das Datum.
    Achtundzwanzig Monate ist das her. Mehr als zwei Jahre. Was habe ich an dem Tag gemacht, als er das College beendete? Es war der Sommer, bevor ich auf die Highschool kam, bevor ich Lauren überhaupt kennengelernt hatte, aber nachdem mein Dad angefangen hatte auf mich loszugehen. Die Blase in meinem Gehirn wabbelt bedrohlich.
    Am liebsten würde ich das Diplom auf meine Handfläche legen wie ein Kellner sein Tablett, es dann blitzschnell herumdrehen und den Glasrahmen gegen die Kleiderschranktür knallen. Ihn zerschmettern. Wut staut sich in meiner Brust an und ich halte sie da drinnen fest, weigere mich sie herausbrechen zu lassen. Kein Zerschmettern von Erinnerungsstücken. Zu sehr mein Vater. Vorsichtig hänge ich den Rahmen wieder an seinen Platz.
    Als ich Christians Stimme höre, schrecke ich zusammen und wirble herum. Aber er ist gar nicht in der Wohnung; er ist nebenan bei Mirriam und die Wände sind dünn.
    Ich bin versucht, hierzubleiben und mein Ohr an die Wand zu halten, aber es wäre wohl nicht besonders klug, meine stetig wachsende Liste krimineller Handlungen durch einen Lauschangriff zu erweitern – Dreckskerl, der ich bin. Ich will gerade den Wandschrank zumachen und hoffe, dass die Dielenbretter nicht knarren, als ich Mirriam sagen höre: »Hast du schon einen Plan? Ich meine, er wird zur Schule gehen müssen, und ich sage nur, dass ich euch beiden helfen kann, die richtige zu finden.«
    »Ich kann jetzt noch keine Pläne machen. Ich weiß doch noch nicht einmal, ob er bleibt.«
    Das lässt mich stehen bleiben. Ich schiebe eine Reihe Hemden zur Seite, mache einen Schritt in den Schrank und lehne mich an die Wand. Kalter Putz an meiner Schulter. Ich bin eingezwängt zwischen einer Anzughose und einem blauen langärmeligen Hemd. Ich schubse den Ärmel aus meinem Gesicht.
    »Wie bitte? Er soll nicht bleiben?« Schweigen. »Er ist dein Bruder, Christian. Familie.«
    »Und das bedeutet für mich etwas anderes als für dich.«
    Wieder entsteht eine Pause und ich stelle mir vor, dass sie jetzt ihre

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