Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Avasthi
Vom Netzwerk:
gemeinsam.
    »Du willst nicht einmal … ich bekomme also … ich bekomme also nicht einmal eine Entschuldigung?«, fragt Mirriam.
    Ach, jetzt verstehe ich. Es war nur eine Streitpause, eine kleine Verzögerung; jetzt geht es wieder zur Sache.
    »Es tut mir leid, wenn es dir wehtut, dass ich dir nicht –«
    »Vielen Dank auch. Das kommt wirklich von Herzen.« Ich kann nicht umhin, Mirriams Sarkasmus zu bewundern.
    »Aber als ich dich kennenlernte, wolltest du gerade aus der Sozialarbeit aussteigen. Ich erinnere mich noch, wie du gesagt hast – in unserer ersten gemeinsamen Nacht war das, wir lagen gerade im Bett –, und du hast gesagt: Ich weiß nicht, wie ich tagein, tagaus all dieses Elend ertragen soll.«
    »Das habe ich gesagt?« Mirriam macht eine kurze Pause. »Aber diese Kids waren hoffnungslose Fälle, ohne Zukunft. Einen Knacks hatten die.«
    »Genau. Im Gegensatz zu mir, und ich wollte nicht mit denen in einen Topf geworfen werden, mit etwas, dem du entkommen wolltest.«
    Mirriam seufzt und sagt: »Siehst du, das kann ich schon viel besser nachvollziehen.«
    Ich lehne mich mit dem Rücken an die Wand.
    »Bist du okay?«, fragt Christian sie.
    »Ich bin okay; ich bin nur … ich weiß, wie schwer es für dich ist zu reden … ich weiß noch, die Kids haben sich dann oft in ihren Panzer zurückgezogen, um sich zu schützen und … je schlimmer es war, desto weniger haben sie geredet … Ich bin einfach enttäuscht. Ich hab gedacht, wir wären uns näher.«
    »Wenn es dich tröstet: Das ist das meiste, was ich darüber gesagt habe, seit ich aus Chicago weg bin.«
    »Oh, Schatz. Du weißt, du kannst das nicht alles in dich hineinfressen. Du musst darüber reden.«
    »Ein andermal, okay? Frieden?«, sagt er und seine Stimme klingt erschöpft.
    »Ein andermal.«
    Ich frage mich, ob ich einen Knacks habe. Hatte Christian je einen Knacks? Meine Mutter würde sagen: Nein, dazu ist er zu stark . Sie würde auf ihre gefalteten Hände schauen und lächeln.
    Und was ist mit mir, Mom? , würde ich fragen.
    Und ihr Lächeln würde verblassen.
    Sie hätte recht.
    Ich höre ein paar schlurfende Schritte, als Christian auf Mirriam zugeht. Ich stelle mir vor, wie er neben ihr kniet und seinen Kopf auf ihren Schoß legt. Vielleicht streichelt sie sein Haar und nimmt dann seinen Kopf in ihre Hände und küsst ihn.
    Durch die Wand höre ich Mirriam stöhnen.
    Okay, wenn ich noch einen Moment länger in diesem Schrank bleibe, brauche ich eine Therapie. Das heißt, noch mehr Therapie.
    Läuft ein Streit bei einem normalen Paar so ab? Ist das die richtige Art, sich zu versöhnen? Ich erinnere mich noch an meine Versöhnung mit Lauren nach unserer ersten und zweiten Trennung. Da ging es vermutlich genauso laut zu wie bei unseren Streitereien. Wir waren so hemmungslos. In unserer Hast schlugen unsere Zähne aneinander und ich drückte sie gegen die Wand. Ich presste mich heftig an sie, während sie ihre Zähne in meine Schulter grub und mich blutig biss. Im Grunde bin ich mir nicht sicher, ob wir nicht noch stritten.
    Ich stoße mich von der Wand ab und zwänge mich durch die Klamotten aus dem Schrank. Der violette Flauschteppich kitzelt meine Füße, als ich ins Wohnzimmer hinübergehe.
    Die Wohnung wirkt auf einmal total beengt. Man kann nirgendwohin. Ich versuche, einmal im Kreis von der Couch zum Schreibtisch, zur Küche und zurück zu laufen, aber es sind kaum sechs Schritte vom einen zum anderen.
    In Chicago kannte ich mich aus. Ich konnte in den Himmel gucken und wusste, wie warm ich mich anziehen musste; ich wusste, wohin jede Straße führte und wo jeder Streit enden würde. Ich konnte meinen Vater ansehen und wusste, wann ich den Mund halten musste, wann ich ihn anstacheln musste, um für meine Mutter die Schläge einzustecken, und wann nur seine Frau als Punchingball herhalten konnte. Ich begriff, wann ein Streit sich anbahnte, wie schnell er sich entwickelte, wohin er sich entwickelte, alles. Jeder Streit folgt einem Rhythmus; ja, das tut er. Ganz sicher. Und so endet kein Streit. Nicht da, wo ich herkomme.
    Was mache ich eigentlich hier? Ich kann nicht einmal richtig atmen in dieser viel zu dünnen Luft.
    Soll ich neunzehn Stunden zurückfahren und mich entschuldigen, bis er die Tür aufmacht?
    Mein Gehirn macht einen Sprung zu der Nacht meiner Abfahrt. Wenn du zurückkommst, bringe ich sie um , hat mein Vater gesagt.
    Ich starre auf das Telefon auf Christians Schreibtisch. Es gibt kein Zurück. Kein Zurück mehr.

Weitere Kostenlose Bücher