Kein zurueck mehr
Mom und ich angelegt hatten, der aber vermutlich vor allem für mich gedacht war. Ich frage mich, wie sie jetzt an Fertigpizza rankommt.
Mein Dad hasste meine Vorliebe für Junkfood und sagte immer, meine Mom würde meinen Geschmack verderben, wenn sie so was kaufte. Hatte für ihn was von Unterschicht, ein Anklang an ihre Herkunft aus dem Arbeitermilieu – ein weiterer Seitenhieb darauf, was sie doch für eine gute Partie gemacht hatte und dass sie die Einzige in ihrer Familie gewesen war, die es auf die Uni schaffte, während er in dritter Generation nach Yale ging. Langsam mache ich den Schrank zu.
»Ist die Suppe fertig?«, ruft Christian.
Ich sage ihm, dass sie noch abkühlen muss, und checke meine E-Mails. Eine von meiner Mom. Ich öffne sie, warte, verfluche seinen langsamen Download und lese.
Ich überfliege den Text, suche nach meiner Antwort.
froh, dass du gut angekommen bist … vermisse dich … sag ihm, dass ich ihn lieb grüße …
Ich finde, wonach ich suche:
Thanksgiving.
Ich gehe zurück zum Anfang des Satzes und lese ihn ganz.
Ich komme an Thanksgiving. Bis dahin sollte ich das Geld zusammenhaben.
Sie ist praktisch auf dem Weg; sie kommt da raus. Ich lösche die E-Mail, rufe Christians Kalender auf und zähle. Etwas weniger als elf Wochen. Sechsundsiebzig Tage.
Ich gehe zurück in die Küche, werfe einen Blick auf die Suppe, die inzwischen wirklich nur noch köchelt, und beobachte, wie der Dampf aufsteigt. Ich hab keine Ahnung, wie ich Christian beibringen soll, dass sie kommt. Er hat ja kaum das Auftauchen eines Familienmitglieds verkraftet. Ich erinnere mich an den Anblick meiner Kleider in seinen Schubladen und beschließe, dass diese Neuigkeit noch warten kann.
Ich gucke rüber in mein Zimmer beziehungsweise Esszimmer, Schrägstrich Wohnzimmer, Schrägstrich Büro. Wo soll sie noch schlafen? Er sieht zu mir auf, während ich im Türrahmen stehe und meine Augen auf der Suche nach mehr Platz umherschweifen.
»Suppe?«, fragt er.
Er sagt mir, wo die Teller sind, und ich stelle sie auf den Tisch. Christian steht auf und holt einen gelben Textmarker aus der Schreibtischschublade.
»Christian?«
»Eine Sekunde«, sagt er, während er eine Passage in seinem Buch anstreicht. Der Textmarker quietscht über die Seite.
»Mom hat zurückgeschrieben«, sage ich.
Der Textmarker verstummt.
»Sie lässt dich lieb grüßen«, sage ich.
»Gut.«
»Gut«? Kein »liebe Grüße zurück«? Nicht einmal ein »Wie geht es ihr«? Die beiden waren doch immer so dicke, dass mein Dad Christian manchmal halb im Scherz Ödipus nannte, nur um den entrüsteten Blick der beiden zu sehen. Natürlich hab ich das damals nicht kapiert, aber als ich das Stück später gelesen habe, hab ich einen ganz schönen Schock bekommen.
»Sie scheint okay zu sein«, sage ich.
»Oh.«
»Wie gut versteht ihr euch beide eigentlich im Moment?«
»Regelverletzung«, sagt er.
»Ausnahmeregelung.«
Wir haben uns früher immer Gesetzbuch-Zitate zugeworfen, juristische Schmankerl sozusagen. Ich war ganz entgeistert zu erfahren, dass die meisten Neunjährigen nicht wissen, dass res ipsa loquitur Lateinisch für »Die Sache spricht für sich selbst« ist und es sich dabei um einen juristischen Begriff handelt, der die Beweislast der Verteidigung zuschiebt. Jetzt falle ich wieder in unseren vertrauten Juristenjargon.
»Need-to-know-Prinzip. Ich muss das wissen, um mir zu überlegen, was ich sage.«
»Wir verstehen uns gut. Sie schreibt mir nie zurück.«
Ich bin zu baff, um zu antworten. Wann immer mein Dad nicht da war, fing sie an mit dem »Weißt du noch, als Christian diesen Marathon gewonnen hat?« – »Was er wohl gerade macht?«. Glaubst du, er läuft noch, isst noch, atmet noch? Bis ich so weit war sie zu fragen, ob sie zufällig bemerkt hatte, dass ich noch Fußball spielte, aß und atmete.
Ich lege langsam die Löffel auf den Tisch.
»Ich hab sie gebeten, es nicht zu tun«, fährt Christian fort.
»Warum das?«
»Sag ihr einfach, mir geht’s gut, okay?«
Er geht zurück zur Couch, schlägt das Buch zu und stellt es auf den Schreibtisch. Er legt gerade den Textmarker zurück, als wir ein Klopfen hören. Für einen panischen Moment denke ich, da steht Mom auf der anderen Seite der Tür. Aber es ist nur Mirriam, die etwas zum Abendessen rüberbringt.
Nachdem sie sich zur Begrüßung geküsst haben, nehme ich Christian die Schüssel ab und stelle sie auf den Tisch. Richtiges Essen. Hühnchen, Zuckerschoten und
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