Kein zurueck mehr
Bambussprossen. Ich fang gleich an zu sabbern.
In ein paar Minuten ist das Essen auf den Tellern. Christian entscheidet sich für die Suppe; Mirriam und ich nicht. Ich schaufele Reis auf meinen Teller und häufe einen großen Löffel ihrer Eigenkreation darauf. Ich vermisse die Stäbchen. Chinesisch essen mit einer Gabel fühlt sich einfach nicht richtig an.
Als ich den ersten Bissen nehme, breiten sich tausend verschiedene Geschmacksrichtungen auf meiner Zunge aus.
»Das schmeckt«, sage ich mit halb vollem Mund, »ja großartig.«
Mirriam lächelt, nimmt einen Bissen und sagt: »Also, Jace, erzähl mir von Christian. Ich habe noch niemanden aus seiner – entschuldige, ich meine, aus eurer – Familie getroffen. Ich will alles hören, was er angestellt hat. Die ungeschminkte Wahrheit.« Sie grinst breit. Verdächtig breit.
Christian presst die Arme an seinen Körper. Er starrt mich mit aufgerissenen Augen an. Ich lege meine Gabel zur Seite, wische mir mit der Serviette über den Mund und fange an.
»Lass mal überlegen, einmal hat er … nein, warte, das war ja ich. Ähm … hast du nicht einmal …? Hmmm … ich, ich und noch mal ich.« Ich schüttele den Kopf. »Das Merkwürdigste an Christian ist, dass es keine peinlichen Geschichten über ihn gibt. Ist das nicht schon peinlich genug?«
Christians Ellbogen entspannen sich. Der Typ ist so verschlossen, da werde ich ein Brecheisen brauchen.
Er wirft Mirriam einen triumphierenden Blick zu, dann guckt er mich an und nickt, als wollte er sich bedanken. Ich antworte mit einem »Gern geschehen«-Nicken. Mirriam macht ein beleidigtes Gesicht, lässt die Schultern sacken und stochert in ihrem Essen herum.
»Warte«, sage ich. »Da war doch die Sache mit dem Mixer. Du hast vergessen, den Deckel draufzumachen.«
Er grinst, also erzähle ich Mirriam, wie wir versucht haben, Blaubeerspritzer an der Decke mit weißer Farbe aus einem angebrochenen Farbtopf zu vertuschen. Aber es war der falsche Ton, also mussten wir die ganze Decke streichen, bevor unsere Eltern nach Hause kamen. Die konnten sich nicht erklären, woher dieser beißende Geruch in unserem Haus kam.
Dann kommt das übliche »Wie war dein Tag?«-Geplänkel. Ich bringe die beiden auf den neuesten Stand und erzähle von meinen ersten Tagen in der Schule: Nein, ich habe meine Nische noch nicht gefunden. Ja, der Unterricht scheint okay zu sein. Mein Lieblingsfach ist Englisch, was Mirriam zum Lächeln bringt, und ich bin nur froh, dass ich sie nicht als Lehrerin bekommen habe. Dann sind wir mit mir durch und ich frage Christian: »Wie steht’s mit deinen Marathonzeiten? Immer noch Boston im Blick?«
»Ich liege ganz gut.«
»Er ist wieder mal zu bescheiden«, sagt Mirriam. »Den letzten hat er unter drei Stunden geschafft.«
»Boston, hier kommt Christian.«
»Wir werden sehen«, sagt Christian.
»Warum nicht?«
Er zuckt mit den Achseln und guckt weg. Achtung: Lüge im Anmarsch. »Geldfrage.«
»Christian hat mir erzählt, dass du dir einen Job suchen willst?«, sagt Mirriam.
»Hab schon einen.«
Ich erzähle ihnen von meinem Auftritt im Buchladen.
»Das ist ja großartig, Jace. Herzlichen Glück …«, sagt Christian.
»Christian«, unterbricht ihn Mirriam. »Ich bin nicht sicher, ob er das tun sollte. Ich meine, er hat auch noch Hausaufgaben und die LECS ist eine anspruchsvolle Schule.«
»Das pack ich schon«, sage ich.
»Ich meine ja nur … wenn ihm das zu viel wird, sollte er vielleicht den Job sausen lassen. Und Fußball ist eine gute Möglichkeit, um –«
Christian lässt seinen Löffel scheppernd in seinen Teller fallen.
Mirriam korrigiert sich. »Um Leute kennenzulernen. Es ist nur … es kommt mir ein bisschen viel vor. Und was passiert, wenn es zu viel Stress wird? Wenn er unbedingt Geld beisteuern soll … Das kann doch echt Probleme bringen.«
»Bisher läuft doch alles gut«, sage ich. »Die Hausaufgaben sind gar nicht schwierig. Einfacher als auf meiner alten Schule.«
Ein Lächeln huscht über Christians Gesicht, bis er einen weiteren Löffel Suppe nimmt, um es zu verstecken.
»Aber die Benotung ist vielleicht strenger«, sagt Mirriam. »Und du willst ja vielleicht versuchen, gute Noten zu bekommen.«
»Er bekommt gute Noten«, sagt Christian. »Ich meine, das tust du doch, oder?«
»Jo.«
»Gut genug fürs College?«, fragt Mirriam.
»Col-lege?«, sage ich, als hätte ich das Wort noch nie gehört. Christian sieht mich strafend an, also ändere ich meinen Tonfall.
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