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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Avasthi
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»Ich will mich nächstes Jahr in Stanford bewerben.«
    Sie rührt ihr Essen um. »Das ist eine renommierte Uni. Dafür wird er herausragende Noten brauchen. Um an der LECS gut abzuschneiden, muss ein Schüler abends etwa drei Stunden für Hausaufgaben veranschlagen und noch mehr am Wochenende.«
    »Wirklich, ich hab alles im Griff«, sage ich.
    Ich bin auch noch im Zimmer, schon vergessen?
    Mirriam will widersprechen, aber ich fahre fort: »Wenn meine Leistungen nachlassen, werden Christian und ich überlegen, was zu tun ist, okay?« Es ist schließlich mein Leben, Süße. Und überhaupt: Da ist die Tür. »Bis dahin sehe ich keinen Grund, den Fußball oder meinen Job aufzugeben. Außerdem ist das Schuljahr sowieso so kurz. Es sind nur noch ein paar Monate.«
    Mirriam lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und kneift die Augen zusammen.
    Für einen Moment herrscht Schweigen und ich mache mich über das Knoblauchhühnchen her.
    »Jace«, fragt Mirriam, »spielst du eigentlich Schach?«
    Meine Gabel verharrt auf halbem Wege in der Luft. Ich weiß nicht, warum meine Wangen auf einmal so heiß werden, aus Scham oder aus Wut. Jetzt kapiere ich, warum Christian Mirriam vorhin so wütend angefunkelt hat. Ich bin abgestempelt worden: Risikojugendlicher. Womöglich fange ich an, aus Profitgründen zu klauen oder mit Drogen zu handeln, wenn ich Geld nach Hause bringen soll.
    »Mirriam«, sagt Christian mahnend.
    »Was denn? Er schien sich für das Schachbrett zu interessieren, das ist alles.«
    Nachdem ein Typ an meiner Schule ausgerastet war und seinem Mannschaftskollegen mit dem Lacrosse-Schläger eins übergebraten hatte, verdonnerte die Schule alle Schüler dazu, ein Antiaggressionstraining zu absolvieren. Was hatte diese Antiaggressions-Tante, eine blonde Tusse in den Zwanzigern mit einem Pferdegebiss, noch mal gesagt? Zähle bis zehn und versuch’s mit Visualisierung. Eins, zwei, drei … mein Dad hätte jetzt schon den Tisch umgeworfen. Vier, fünf, sechs … ich verdrehe ihr den Arm hinter dem Rücken . Meine aufgeplatzte Lippe und meine Scham wären wie ausradiert. Sieben, acht, neun … das mit dem Zählen funktioniert nicht und ich hab den Verdacht, meine Visualisierungen sind nicht die richtigen. Was anderes. Atmen, genau. Hatte das Pferdegebiss nicht was von Atmen gesagt?
    »Außerdem, Christian«, fährt Mirriam fort, »du wolltest doch auch wissen, was es mit seiner Schachbegeisterung auf sich hat, oder? Ich meine, du hast gesagt –«
    Ich stehe so ruckartig auf, dass der Stuhl umkippt. Plötzlich taucht das Pferdegebiss vor mir auf und brüllt: »Ansonsten geh aus dem Zimmer. GEH RAUS !«
    Genau. Raus.
    »Danke für das Essen, Mirriam. War echt lecker«, sage ich. »Nur der Vollständigkeit halber: Ich habe noch nie in meinem Leben Schach gespielt.«
    Meine Hand zittert, als ich meinen Teller abkratze, meine Reste zurück in den Topf gebe und in die Küche gehe. Ich will nicht wieder nach draußen gehen, aber hier drinnen kann ich nichts tun als zittern und atmen. Ich kann spüren, wie sich die Blicke der beiden in meinen Rücken bohren. Ich sehe mich fieberhaft nach etwas, irgendetwas um, das ich tun könnte. Ich werde … den Abwasch machen. Genau.
    Ich drehe den Hahn auf und das Wasser läuft laut in die metallene Spüle. Ich kann hören, wie hinter mir das Gezanke weitergeht, aber ihre Worte kann ich nicht verstehen. Das will ich eigentlich auch gar nicht; es reicht, dass ich aus dem Zimmer gegangen bin. Jetzt zerbrich bloß nicht den Teller. Ich spüle ihn ab und stelle ihn ins Abtropfgestell. Ich wasche den Suppentopf und meine Gabel ab, und dann finde ich nichts mehr.
    Verdammt. Hätte ich jetzt bloß ein eigenes Zimmer, eine Tür.
    Ich besinne mich auf ein plötzliches Verlangen nach Kaffee.
    Als ich das Wasser abdrehe, höre ich Mirriam sagen: »Er klaut ja jetzt schon aus Spaß –« Sie verstummt, als sie die Stille bemerkt.
    Ich wische mir die Hände an der Jeans ab und gehe zurück. »Ich könnte jetzt einen Kaffee gebrauchen. Will vielleicht noch jemand einen?«
    Sie schütteln beide den Kopf. Sie sagen nichts, als ich meinen Stuhl wieder hinstelle, meinen Autoschlüssel hervorhole und meine neue Jacke anziehe. Ich kann gerade noch flüchten, kurz vor der Explosion.
    Als ich im Auto sitze, fällt mir ein, dass ich gar kein Geld für einen Kaffee habe. Ich nehme die eine Strecke, die ich kenne, zur Schule und zurück, damit ich mich nicht verfahre.
    Ich schlüpfe durch die Sicherheitstür, als jemand

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