Kein zurueck mehr
Ich inhaliere ihren Duft, schließe die Augen und halte mein Dreckskerl-Maul. Das Letzte, was ich tun sollte, ist mit einem Mädchen anbandeln, das ich mag.
Zu Hause warten weitere Versuchungen. Drei ungeöffnete E-Mails von Lauren in meinem Posteingang. Fette Schrift. Herausfordernd.
Betr.: Wo zum Teufel bist du, du Feigling?
Betr.: Ich hasse dich. Ruf mich an.
Betr.: Du schuldest mir was, Dreckskerl.
Ich sollte sie einfach löschen, so wie ich es mit der ersten gemacht habe, Laurens E-Mails einfach in den Papierkorb und in die Vergessenheit befördern. Stattdessen starre ich auf ihre Betreffzeilen.
Nur ein Klick und ich könnte die Worte lesen, die sie geschrieben, überdacht, umgeschrieben und dann verschickt hat. Sie ist immer achtsam bei E-Mails; das Telefon oder Gespräche unter vier Augen sind ihr lieber. Edward meint, sie vermeidet es, durch E-Mails Spuren zu hinterlassen. Macht sie weniger angreifbar. Ich versuche mich abzulenken, indem ich die Tage bis Thanksgiving zähle, aber es dauert nur ungefähr drei Sekunden, um zu bestätigen, was ich schon weiß – zweiundsechzig Tage.
Ich fange an, mit mir selbst zu verhandeln: Wenn ich verspreche, nichts mit Dakota anzufangen, kann ich dann Laurens E-Mails lesen? Wenn ich sie niemals beantworte, kann ich dann Dakota zu einem Rendezvous einladen?
Ich schiebe den Stuhl zurück; die Räder bleiben fast im dicken Teppich stecken. Ich gehe in die Küche und öffne die Kühlschranktür. Kalte Luft strömt heraus. Es ist nichts zu essen da, es sei denn, man betrachtet Pilze als essbar. Ich spähe durch die offene Küchentür in Richtung Bildschirm. Ihre Betreffzeilen sind wie gottverdammte griechische Sirenen.
Ich könnte sie zum Schweigen bringen, wenn ich nur irgendeine Ablenkung hätte, aber Christian ist bei der Arbeit; Dakota hab ich schon versucht anzurufen; Fernsehen gibt es in dieser Bude nicht (Himmel, hilf); und Musik oder Filme runterzuladen, kann ich mir nicht leisten. Verflucht, ich kann nicht mal ziellos durch die Gegend fahren, da Christians Auto den Geist aufgegeben hat (was für eine Überraschung) und ich ihm meins überlassen hab.
Ich lausche auf das monotone Prasseln des Regens auf dem Dach, während mein Blick an der letzten Betreffzeile hängen bleibt.
Du schuldest mir was, Dreckskerl.
Stimmt, ich schulde ihr was, aber was genau? Eine Antwort oder so viele Kilometer, wie ich nur zwischen uns bringen kann?
Vielleicht ist Mirriam ja zu Hause. Ich gehe über den Flur und klopfe, aber nachdem ich eine Ewigkeit gewartet habe, weiß ich, dass sie nicht da ist. Ich beginne, die Stufen hinunterzugehen. Ins Erdgeschoss, umdrehen und wieder hoch die Treppe.
Lauren würde mein Nie-mehr-Dreckskerl-Gelöbnis nicht gutheißen. »Aber ohne deine Ecken und Kanten bist du nicht halb so sexy«, würde sie lachend sagen, mich küssen und jede Entschlossenheit zunichtemachen.
Hoch: eine Stufe, zwei Stufen, drei Stufen.
Lauren hängt wahrscheinlich gerade mit Edward ab. Sie haben es sich in ihrem Zimmer gemütlich gemacht und gucken einen Film auf ihrem Riesenfernseher mit Dolby Surround. Sie lehnt sich an ihn, während er ihr selbst gemachtes Käse-Popcorn in der Hand hält.
Unerwünschte Bilder gehen mir durch den Kopf: ein Glas, vollgestopft mit Wattestäbchen, Stolpern auf Stöckelschuhen, zerquetschte Haut zwischen Fingern, als der Griff fester wird.
Als ich zurück in die Wohnung komme, klicke ich auf »Senden und Empfangen« und bing , eine neue E-Mail erscheint im Postkasten. Von Lauren.
Betr.: Haftbefehl für dich?
Ich lese die Zeile tausendmal, bevor ich den Aus-Knopf drücke und der Bildschirm schwarz wird. Alles ausgelöscht. Ich tiger hinüber zum Fenster. Als ich mein Spiegelbild sehe, schalte ich das Licht aus und kehre dann zu meinem Platz zurück. Ein Blitz erhellt das Zimmer und ich fange an zu zählen: eins, zwei, drei. Jetzt denk bloß nicht an diese letzte Nacht bei Starbucks in Chicago . Der Donner folgt und das Fenster zittert unter meinen Fingern. Denk nicht an Lauren .
Ich drücke meine Finger gegen das kalte Glas und zeichne die Spur eines Regentropfens nach. Denk einfach gar nicht.
Ich schließe meine Augen und versuche, die Erinnerung aufzuhalten, als könnte ich ihr entkommen; versuche, in meinem Gehirn den »Überschreiben«-Knopf zu finden – irgendetwas. Aber irgendwo in meiner grauen Substanz wird auf »Abspielen« gedrückt und die Erinnerung läuft ab …
Wir saßen an einem Starbucks-Tisch, ein koffeinfreier
Weitere Kostenlose Bücher