Kein zurueck mehr
Kaffee neben meiner Shakespeare-Gesamtausgabe. Die Dunkelheit draußen verwandelte die Fenster in Pseudospiegel. Ich musterte das Bild, das im Fenster reflektiert wurde, und überlegte, wie es sich wohl in ein Foto umsetzen lassen würde: im Hintergrund ein Barista, der an einem Fleck auf dem Tresen herumschrubbt; im Vordergrund ich, umgeben von meinen Freunden – Edward lehnt sich in seinem Stuhl zurück und hält mit seinem abgewetzten Turnschuh den Platz zwischen uns für Lauren frei; Marisa hockt mir gegenüber und nippt an ihrem Kräutertee, während der Dampf aus ihrem Becher seltsame Schemen in die Luft zeichnet. Ich grübelte gerade darüber nach, ob mein eigenes unscharfes Spiegelbild kunstvoll aussehen würde oder einfach verschwommen, als Marisa meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie strich sich ihren langen schwarzen Pony aus der Stirn, stützte sich auf ihre knochigen Ellenbogen und sah mich durch dick getuschte Wimpern an.
»Ich bin bereit«, sagte sie.
Sie flirtet doch nicht etwa mit mir?, dachte ich. Lauren kam mit einem weiteren Becher Kaffee zurück und ich griff nach ihrer Hand und zog sie auf meinen Schoß. Um für klare Verhältnisse zu sorgen.
Marisa richtete sich auf und lehnte sich zurück. Lauren riss zwei gelbe Päckchen Splenda-Süßstoff auf. Das Pulver ergoss sich in ihren Becher und wirbelte die beiden Zuckerwürfel umher, die schon darin schwammen.
Edward blickte von ihrem Becher zu ihrem Gesicht. »Du weißt schon, dass das mindestens sechs Zuckerwürfeln entspricht?«
»Zucker, Schokolade und Kaffee – die Liste meiner gesunden Suchtmittel«, sagte Lauren und rezitierte damit eine eiserne Regel, die sie als Reaktion auf ihre Mutter aufgestellt hatte, die Alkoholikerin auf Dauerentzug.
»Was soll daran denn gesund sein?«, fragte Edward.
Lauren verkrampfte sich. Ich konnte spüren, wie sich ihre Pomuskeln auf meinen Oberschenkeln anspannten. Sie hatte nie viel über das Problem ihrer Mutter gesprochen. Ich hatte gerade erst davon erfahren, während dieser dritten Phase unserer On-off-Beziehung.
»Krank ist, so blöd zu fragen«, sagte ich.
Ihr Po entspannte sich und sie drückte mir einen Kuss auf den Kopf. »Du kommst mit auf die Liste.«
Ich drückte ihre Hand.
»Mein Gott«, sagte Marisa. »Jetzt reicht’s aber mit der Turtelei. Frag mich was, Jace.«
Ich versuchte, Laurens Hand loszulassen, aber sie hielt mich fest.
Ich überlegte mir ein gutes Zitat. »›Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen, dass, wollt ich nun im Waten stillestehn, Rückkehr so schwierig war, als durchzugehn.‹«
» Hamlet «, sagte Marisa. Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
» Macbeth .«
» Hamlet .« Marisa setzte sich wieder auf.
Ich schüttelte den Kopf und rührte Laurens Kaffee um.
»Keine Chance, Marisa«, sagte Lauren. »Jace ist der schärfste Streber, den es gibt. Er hat immer recht.«
Ich warf ihr einen Blick zu und lächelte abwesend. Wir wussten beide, dass Lauren nicht besonders belesen war, aber sie war clever auf andere Weise. Sie hatte Menschenkenntnis, wusste, wann sie schauspielern und wann sie sich von ihrer weichen Seite zeigen sollte. Sie sah Schwächen und Stärken in anderen Menschen, die für jeden anderen kaum erkennbar waren, und konnte total unerwartete, spannende Einblicke in Beziehungen geben. Sie war der einzige Mensch, dem ich nachgeben würde, da ich gelernt hatte, dass sie meistens recht hatte, und ich war der einzige Mensch, dem sie nachgeben würde. Was zu ein paar ziemlich witzigen Gesprächen führte.
»Diesmal hat er nicht recht«, sagte Marisa. »Schließlich habe ich Ophelia sogar gespielt.«
»Eine Szene hast du gespielt, und das ist ungefähr hundert Jahre her«, sagte Lauren.
Ich sah zu Edward und er verdrehte die Augen. Wir erlebten beide nicht zum ersten Mal, wie die zwei sich einen Zickenkampf lieferten. Ihre Aufwärmphasen waren ermüdend, das Finale jedes Mal eine Qual.
»Ein seltsames Zeitgefühl hast du. Zwei Jahre trifft’s schon eher«, sagte Marisa.
»Ist doch egal.«
Ich begann raschelnd die Dünndruckseiten umzublättern und suchte nach Macbeth .
Lauren hüpfte auf meinem Schoß auf und ab. »Go, Jace, go!«
»Lauren, du solltest wirklich das Koffein aufgeben«, sagte Marisa.
»Koffein spür ich überhaupt nicht.«
Sie hatte immer behauptet, dass nichts ihren Schlafrhythmus durcheinanderbringen könnte, aber seit der Nacht, als ihre Eltern weg gewesen waren und ich bei ihr übernachtet
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