Kein zurueck mehr
schweben sie dort, als wären sie schwerelos.
»Das Ballonfest«, erklärt er. »Mirriam und ich sind letztes Jahr hier oben gewesen. Hat man nicht einen tollen Blick von hier?«
Wir kraxeln hinauf bis zur Kuppe. Ich hole meine Kamera raus und versuche ein paar Bilder zu machen, aber durch den Sucher verliert der Ausblick etwas. Ich probiere weiter herum, bis mir bewusst wird, dass ich meinen Bruder zu Tode langweile. Wir setzen uns hin, lassen unsere Beine über dem endlosen Abgrund baumeln und beobachten, wie sich der Himmel immer mehr mit kleinen Farbtupfern füllt.
Als ich klein war, hat es mich immer geärgert, wenn meine Mutter alle Geburtstagsballons an meinem Handgelenk festband. Ich friemelte so lange an der Schnur herum, bis ich sie losmachen konnte, nur um sie in den Himmel aufsteigen zu sehen, auf zu neuen Welten.
»Wie funktioniert eigentlich so ein Heißluftballon?«
Er erklärt, wie zum Abheben Luft mit Propan gemischt und erhitzt wird, wie die Gondeln aussehen, in denen die Ballonführer sitzen, und es ist wieder wie damals, als er über alles mehr wusste als ich.
Er nimmt seinen Rucksack ab und stellt ihn zwischen uns. Ich mache den Reißverschluss auf und krame das Studentenfutter hervor, das unser Frühstück sein soll. Er holt eine Thermoskanne raus, schraubt den Deckel auf und gießt uns ein. Die braune Flüssigkeit schwappt in den Metallbecher.
»Tee?«, frage ich.
»An einem Morgen wie diesem? Nee. Heiße Schokolade.«
Ich atme den Duft ein.
Er führt den Becher an seine Lippen und trinkt. Ich werfe mir eine Handvoll Studentenfutter in den Mund und kaue. Es schmeckt nicht annähernd so pappig wie sonst. Vielleicht fange ich an, geschmacklosem Essen etwas abzugewinnen.
Ich starre auf den Horizont. Es müssen jetzt Hunderte von Ballons sein, die wie Stecknadelköpfe den Himmel bespicken. Plötzlich wird das bewegungslose Bild durchbrochen, als ein Ballon, der die Form eines Kaktus hat, unter die orange-gelb gestreifte Kugel neben ihm fällt. Er sinkt unter die Bergkante, außer Sicht.
»Du warst letztes Jahr mit Mirriam hier?«
Er murmelt ein Ja und scheint plötzlich ganz fasziniert von dem Fels, auf dem wir sitzen.
»Ist alles in Ordnung?«, frage ich. »Mit dir und Mirriam meine ich.«
»Na ja.« Er beugt sich hinunter und schubst einen Kieselstein über die Felskante. Der Stein verschwindet aus unserem Blickfeld, als hätte er nie existiert.
»Du hast uns ja erlebt. Wir streiten uns normalerweise nicht. Ich meine, weißt du noch an dem Abend, als du aufgetaucht bist? Sie ist einfach in ihre Wohnung rübergegangen, hat keine Fragen gestellt. Das bin ich von ihr gewohnt. Diesen Grad von Vertrauen.«
Ich warte, denn ich weiß, eine weitere Frage würde ihn nur schweigen lassen, aber Schweigen wird ihn zum Reden bringen.
»Jetzt will sie, dass ich … mit ihr darüber rede«, sagt er.
»Über Chicago? Bevor du weggegangen bist?«
»Wie soll ich das machen? Wie kann ich das alles auf den Punkt bringen? ›Es war furchtbar. Es ist vorbei.‹«
»Und diese informative und emotionale Antwort gefällt ihr nicht?«
»Klugscheißer«, sagt er und knufft mich mit dem Ellenbogen. »Sie sagt, die Tatsache, dass ich nicht reden will, bedeutet, dass ich es tun sollte.«
»Ganz schön verworren.«
Er nippt an der heißen Schokolade. »Vielleicht hat sie ja recht.«
Er blickt wieder in die Ferne, und er beobachtet nicht die Ballons. Ich warte, lasse das Schweigen seine Mauern aufweichen.
»Ich weiß nicht«, fährt er fort. »Ich denke, sie hat ein Recht, davon zu erfahren, meinst du nicht? Es war nicht wirklich eine Lüge, höchstens eine Lüge durch Unterlassung. Aber was auch immer es war, es ist das krasse Gegenteil von Vertrautheit.«
Ich kann seinen Streit mit Mirriam förmlich hören; ich erkenne ihre Worte, die aus seinem Mund kommen. Ich weiß noch, als ich sie belauscht habe, hat er ihr versprochen, dass er ein andermal darüber reden wird. Ich schätze, das hat er nicht getan.
Er hebt etwas Schotter auf und wirft. Er sammelt eine Handvoll Kiesel und fängt an, sie einzeln über die Felskante zu schleudern.
»Warum erzählst du ihr nicht von der Sache mit dem Hammer?«
Seine Mundwinkel gehen nach unten.
»Okay, wie wäre es mit dem Mal, als er ihr die Haare abgeschnitten hat, weil der Typ aus dem Geschichtsverein gesagt hatte, dass sie ihm gefallen?«
»Er hat was?«
»Ach ja. Da warst du schon nicht mehr da.«
Er starrt auf den Boden und wirft einen weiteren Kiesel
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