Keine Angst vor Anakondas
einzellige Algen, die sich mit einem orange-rötlichen Farbstoff gegen die UV -Strahlen schützen. Vom Grund her streben sie mit einer Geißel dem Licht entgegen. Wenn dann der Schnee in sich zusammenschnurrt, bilden sie rote Teppiche aus. Spiegeleis auf den gefrorenen Tundrapfützen schillert dem Team entgegen wie in einer Märchenwelt. Jan Haft schaut sich um. Er nimmt jede Farbnuance mit allen seinen Sinnen auf, als könne er das Licht wittern. Das ist es, wovon Filmer träumen: das perfekteste Licht unter der Sonne, ein Traumblick. Er ist begeistert. Ein erregtes Glitzern setzt sich in seinen Augen fest. Wenn jetzt doch nur …
Nicht allein in dem Tierfilmer regen sich starke Emotionen. Das Licht belebt ebenfalls die kampferfahrenen Bullen. Sie haben große Pupillen und hochempfindliche Netzhäute, denn im arktischen Winter müssen sie sich in der Tundra eine gefühlte Ewigkeit lang ohne Sonnenlicht zurechtfinden. Mit den Sonnenstrahlen ist ein Ruck durch die Herde gegangen. Katzengleich verengen sich die Pupillen der Moschusochsen, jedoch zu einem horizontalen Schlitz. Die Natur sorgt für ihre Kinder: Das ist eine Anpassung daran, dass ihre Augen im Sommer 24 Stunden Sonnenlicht und im Winter reflektierenden Schnee aushalten müssen – alles ohne Sonnenbrille. Das blendende Licht erinnert sie daran, weswegen sie sich hier zusammengefunden haben. Sie haben etwas zu klären. Wallende Hitze durchflutet ihre Adern. Aus ihren Augen strahlt alles andere als Begeisterung für den überirdisch schönen Morgen. Ganz im Gegenteil, aus ihren Augen blitzt Konkurrenz, Feindseligkeit und Gewalt!
Sieben Uhr. Zwei Bullen kommen sich wie zufällig ins Gehege. Sie starren sich an, und dann platzt einem von ihnen plötzlich die Hutschnur. Gebannt beobachten die Tierfilmer, was als Nächstes geschieht. Sie lesen an den Augen ab, an den Bewegungen, dass es vor Spannung zwischen den beiden nur so knistert, und schalten die Kamera ein. Ein Bulle grunzt herausfordernd. Und dann geht alles ganz schnell. Die beiden werfen die Köpfe nach rechts und nach links, gehen ein paar Schritte zurück, nehmen dann nach vorne Fahrt auf. Kurz vor dem Aufprall heben beide mit dem Oberkörper ab. Ungebremst donnern sie mit den Stirnen zusammen. Die krachen zusammen wie zwei Lkw im Crashtest. Nur – alles ohne Knautschzone. Wuchtig und dumpf dröhnt der Aufprall bis in den letzten Winkel des Tals und kündet davon, dass die Bullen klären, wer hier der Boss der Bergtundra ist und später dafür infrage kommt, Weibchen zu begatten.
Bis zu 20 dieser krassen Zusammenstöße verkraften Bullen während eines Duells. Was sie einstecken, geht auf keine Kuhhaut. Manchmal sinken die Kontrahenten nach einem Aufprall auf ihre Hinterkeulen. Es kommt vor, dass sie sich seitlich mit den Hörnern stechen, gelegentlich mit fatalen Folgen. Die Tierfilmer haben da gerade den härtesten Zusammenprall im Tierreich überhaupt aufgenommen.
Nach gut einer Viertelstunde steht der Gewinner fest, der Verlierer trollt sich davon. Acht Uhr. Die Filmer sitzen im weichen Moos und spulen die Aufnahme zurück. Volltreffer! Sie haben den Kampf aus etwa 70 Metern Entfernung formatfüllend bei bestem Licht und exorbitant schöner Kulisse gefilmt. Was sie aber in der Zeitlupe sehen, ist so fantastisch, dass sie es kaum glauben wollen: Beim Zusammenprall fließen Erschütterungswellen durch das bis fast auf den Boden hängende Fell der Moschusochsen. Die langen Haare schlagen wellenförmig, aber chaotisch und ohne klare Richtung aus wie die Nadel eines Seismografen beim Erdbeben. Die Zeitlupenaufnahme veranschaulicht die ungeheure Wucht, mit der die Männchen ihr Gehörn gegeneinanderrammen.
Drei Jahre waren sie in Skandinavien einem Kampf der Bullen auf der Spur. Heute endlich haben sie es geschafft. Die Mühe, ihre Zähigkeit wurden belohnt. Jan Haft fällt ein Stein vom Herzen. Nun sind es Glückshormone, die die vier Nautiliden euphorisieren, sie in Sektlaune versetzen wie noch nie zuvor. Es gibt allerdings nur Tee aus der Thermoskanne oder Wasser aus einem Bergbach. Den Sekt genießen sie später, als sie mit dieser Aufnahme beim International Wildlife Film Festival in Missoula, USA für diese Sequenz einen von zwei besonders begehrten Filmpreisen – Golden Globes der Tierfilmerei gleichsam – für die beste Einzelaufnahme unter allen Einsendungen gewinnen. Und bei dieser Gelegenheit heimst Jan Haft dann auch gleich die zweite Auszeichnung für eine Zeitlupenaufnahme von
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