Keine Angst vor Anakondas
Flügelspannweiten von über 70 Zentimetern hatten, werden die Krabbler nicht.
Aufgrund ihrer Anatomie können Insekten nicht mehr zulegen. Ihre Atmung über Tracheen erlaubt nur eine begrenzte Größe. Hätte das Modell Krabbler in Chitin sehr groß werden können, wären sie längst die Monster, die wir aus vielen Science-Fiction-Filmen kennen. So aber werden sie nie Top-Predatoren, wenn von sozialen Insekten, wie den Treiberameisen, abgesehen wird, die mit ihrer Umgebung alles andere als sozial umgehen. Immerhin, eines der größten Insekten, eine Langfühlerschrecke mit 70 Gramm Gewicht, lebt in Neuseeland. Insgesamt jedoch ein lausiger Versuch, sich an die Spitze der Nahrungskette zu katapultieren. Und das ist auch gut so, denn gäbe es Rieseninsekten, würde Flossie jetzt nicht watschelnd auf Futtersuche sein.
Neuseeland ist zwar weit weg, aber doch nicht aus der Welt. Vögel fliegen Neuseeland an, einige regelmäßig zum Brüten, andere äußerst selten und ohne Absicht. So wurden die Inseln immer wieder mit neuen Vogelarten geimpft. Ganz ohne die Räuber anderer Kontinente herrschten im Labor Neuseeland für Vögel optimale Bedingungen. Beste Voraussetzungen für ganz ungewöhnliche Entwicklungen …
Einige der gefiederten Freunde waren am Boden so zufrieden, dass sie das Herumfliegen gleich ganz bleiben ließen. Zu ihnen gehören beispielsweise die Kiwis und die ausgestorbenen Moas. Elf Arten dieser vegetarischen Laufvögel sind aus historischer Zeit bekannt, von denen einige nur Truthahngröße erreichten, andere jedoch bis 200 Kilogramm schwer wurden. In alten Siedlungen der ersten Maori sind Massen an Moaknochen gefunden worden. Sie teilten das Schicksal der Kakapos, nur dass es von den Papageien noch ein paar Überlebende gibt. Da flugunfähige Vögel auf Inseln ohne Räuber ihre Flucht- und Abwehrtendenz verlieren, dürfte das Erlegen dieser Vögel eher einer Melonenernte geglichen haben als einer Jagd. Wer sich zu sehr spezialisiert, die Selbstverteidigung vernachlässigt und zudem das Flugvermögen eingebüßt hat, den beißen die Hunde, wenn Landraubtiere auftauchen. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Dodos von Mauritius, die es nur noch als ausgestopfte Bälge in Museen zu betrachten gibt. Das Landraubtier, das ihr Schicksal besiegelte, war der Mensch.
Gefiederte Luftbrücke
Es kam, wie es kommen musste: Adler! Es war für sie ein Schlaraffenland, in dem ihnen die Brathähnchen nur so ins Maul geflogen sind. Bei derart viel Beute und fehlender Konkurrenz legte der Adler mächtig zu: Er erreichte eine Flügelspannweite von über drei Metern. Der Riesenadler war der Jumbojet unter den Raubvögeln. Und so bekam Neuseeland doch noch seinen Top-Predatoren, der tagsüber die friedliebende Fauna heimsuchte. Er startet und landet heute nicht mehr. Die Maori haben seine Flüge vor gut 300 Jahren für immer eingestellt. Vor seinem Schatten am Himmel braucht sich Flossie also heute nicht mehr zu fürchten. Ihre Urahnen gingen den visuell jagenden Adlern aus dem Weg, indem sie tagsüber ruhten. Flossie und ihre Artgenossen sind dabeigeblieben, die Inseln nachts zu durchkämmen.
Was aber geschah mit den fliegenden Vorfahren von Flossie, als sie in Neuseeland eintrudelten, und warum haben sie sich zu plumpen Grünlingen entwickelt? Auch die Kakapos fanden paradiesische Verhältnisse vor. Gefährliche Tiere existierten außer dem Riesenadler nicht. Sie haben deshalb komplett vergessen, dass es am Boden Lebewesen geben könnte, die ihnen Böses wollen. Offenbar haben sich die Kakapos dem Motto verschrieben: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.« Dummerweise haben sie aber ebenfalls vergessen, dass sie sich dieses Motto zulegten. Und vor allem haben sie wirklich keinen blassen Schimmer mehr davon, welche Konsequenzen es nach sich ziehen kann, unbekannte Fremde wie den Kater Freddy einfach nur anzustarren. Flossie lebt also im Reich der Ahnungslosen, zu denen sie selbst gehört. Ahnungslos ist Flossie auch im Hinblick darauf, wozu es geführt hat, sich über viele Generationen die Bäuche hemmungslos mit Früchten, Samen, Rinde, Knollen, Blättern, Stängeln und Wurzeln vollzustopfen. Nebenbei ein Häppchen Protein in Form kleiner Wirbelloser gehört ebenfalls dazu. Solange es nicht um die Aufzucht der Jungvögel geht, sind sie wenig wählerisch. Jedenfalls fraßen sie sich kugelrund und wurden immer schwerer. Fliegen wurde ihnen viel zu anstrengend, und da ließen sie es ganz bleiben und verloren
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