Keine Angst vor Anakondas
könnten sie richtig stolz sein, wenn ihnen nicht ein kleiner Fehler unterlaufen wäre. Bei der letzten Kakapo-Konferenz haben sie dann offenbar beschlossen zu vergessen, dass sie sich die Fortpflanzung so schwer wie möglich gemacht haben, und damit die Chance vertan, die Rate der Nachkommen wieder an die reale Situation anzupassen. Sie sind, mit anderen Worten, weit über ihr Ziel hinausgeschossen, denn sie haben den Supergau einer Okkupation ihres Lebensraums durch Eindringlinge völlig außer Acht gelassen. Die Kakapos konnten sich einfach nicht vorstellen, dass sie durch unbekannte Neuankömmlinge in ihrer Existenz bedroht werden.
Der heilige Baum
Wenn weniger Bevölkerungszuwachs gewünscht wird, dann ist es logisch, die Geschlechtsreife hinauszuzögern. Die Männchen fangen mit fünf Jahren an zu balzen, die Weibchen beginnen frühestens im Alter von neun Jahren, an ein Gelege zu denken. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie bereit sind, sich zu paaren. Sie denken gar nicht daran, jedes Jahr zu brüten. Zunächst begutachten sie nämlich die Rimubäume, Früchte tragende Nadelbäume, die zu den Steineiben gehören. Nur wenn diese eher seltene Baumart den Ansatz für viele Früchte erkennen lässt, kommen die Weibchen in Paarungsstimmung. Das passiert nur alle drei bis fünf Jahre. Bevor sie sich von Richard Henrys Rufen locken ließ und seinem Werben erlag, war auch Flossie bis in die obersten Spitzen einiger Rimubäume geklettert und hatte sie sorgfältig geprüft. Mit freudiger Genugtuung stellte sie fest, dass die Zweige prall gefüllt mit Ansätzen für die Früchte waren. Das hatte sie beflügelt und einen Hormonschub bewirkt, der sie für die Rufe der Männchen empfänglich werden ließ. Magisch fühlte sie sich vom Wummern aus der Mulde angezogen.
Gibt es zu wenige Früchte an den Rimubäumen, können sich die Männchen auf den Kopf stellen, Purzelbäume schlagen und noch so verlockend werben, sie werden sitzen gelassen. Es wird in diesem Jahr keine Nachkommen geben – und das gilt für alle Weibchen! Es ist so, als würden alle Löwenweibchen der Serengeti erst einmal eine Inventur der Gnus und Zebras durchführen und dann entscheiden, ob sie dieses Jahr die Männchen ranlassen. Wenn ein Kakapoweibchen neun Jahre alt geworden ist und in den nächsten fünf Jahren nicht genügend Früchte an den Rimubäumen wachsen, dann ist sie im Alter von 14 Jahren nicht ein Mal den Rufen der Männchen gefolgt. Das ist definitiv rekordverdächtig in der Vogelwelt, ebenso wie ihr gesamtes System zur Vermeidung von Nachwuchs.
Muldenzauber
Eine weitere Resolution der Kakapo-Senatoren in ihrem Kampf gegen Überbevölkerung hatte hohe Hürden bei der Zusammenkunft während der Paarungszeit zum Ziel: Die Weibchen müssen nämlich den Balzplatz der Männchen erst einmal finden und erreichen. Wer glaubt, das sei leicht, kennt die Kakapos schlecht … Im Dezember, wenn die Paarungszeit beginnt, kraxeln die Kakapomännchen auf Anhöhen und Felsvorsprünge. Das kann dann schon einmal der stürmische Grat eines Bergrückens sein. Mehrere Männchen versammeln sich in einer sogenannten Balzarena. Hier konkurrieren sie zunächst um die besten Plätze. Sie plustern sich auf, zeigen ihre kräftigen Krallen, flattern mit den Flügeln und brummen und krächzen. Ernsthafte Verletzungen sind bei diesen Kämpfen aber nicht vorgesehen.
Wenn die Männchen ihren Platz gefunden haben, scharren sie so lange, bis sie eine runde Mulde von einem halben Meter Durchmesser ausgehoben haben. Dabei halten sie einen ungefähren Abstand von 50 Metern zum nächsten Männchen ein. Dann legen sie lange Pfade an, die zu ihrer Mulde hinführen. Diese Pfade sind der ganze Stolz der Muldenbesitzer. Während der Balzzeit pflegen sie die Pfade penibel und halten sie von Blättern und Ästchen frei. Für die Weibchen muss das so wirken, als würde vor ihnen der rote Teppich ausgerollt.
Den starken Mann zu markieren – das wird rein akustisch ausgetragen. Die Männchen sitzen drei bis vier Monate jede Nacht acht Stunden in ihrer Mulde. Ohne Pause lassen sie, beginnend mit Grunzlauten, eine lauter werdende Folge dumpfer Basstöne erschallen. Dabei blasen sie einen Luftsack am Brustkorb wie einen Ballon auf. Das vergrößert den Resonanzkörper, vergleichbar mit den Schallblasen der Frösche. Bei günstigem Wind schallt dieses als Boomen bezeichnete Locken mehrere Kilometer weit in die tiefer liegenden Wälder. Jetzt ist es an den Weibchen, zu den
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