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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Dirksen
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im Laufe vieler Generationen ihre Fähigkeit, sich in die Lüfte zu erheben.
    Flossie flattert etwas mit ihren Flügeln, um in den Baumwipfeln die Balance zu halten. Schade, keine Rimufrüchte an der Steineibe für meine Kleinen, denkt sie und seufzt mal wieder. Sie knabbert an den Blättern, klettert dann geschickt hinunter, wobei sie ihren kräftigen Schnabel unterstützend einsetzt. Flossies Greiffüße eigenen sich zum Klettern besser als andere Vogelfüße: Je zwei Zehen sind nach vorne und zwei Zehen nach hinten gestellt. Nobody is perfect , und das Klettern will gelernt sein. Als sie noch jünger war, ist sie ab und zu aus den Bäumen gefallen. Dann spreizte sie ihre Flügel und fiel trudelnd Neuseelands Boden entgegen. Und Flossie hat noch einen Fuß-Trick auf Lager, den es außer bei Papageien in der ganzen Vogelwelt nicht noch einmal gibt: Sie frisst mit den Füßen, indem sie Nahrungsbrocken mit einem Fuß greift und diese zum Schnabel führt.
    Die Pfunde schaden ihr nicht, findet Flossie. Es ist ja fast alles mit ein paar Watschelschritten zu erreichen. Nur die Versorgung der Küken und die Zusammenkunft mit den eigenwilligen Männchen nötigen sie zu längeren Wegen. Macht aber nichts, denn die Kakapos haben sich trotz ihrer behäbigen XXL -Figur zu ausdauernden Wanderern gemausert. Gefahren gibt es für die Kakapos am Boden ja keine. Na ja, wie gesagt: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« – wenn das mal so einfach wäre.
    Flossie weiß jedenfalls nicht, dass fast jeder ihrer Schritte beobachtet wird. Die Vogelschützerin Deidre Vercoe hat sich penibel die Zeit notiert, als Flossie ihre Küken verließ. Sie selbst sitzt 70 Meter entfernt in einem Zelt und schlägt sich mal wieder eine Nacht um die Ohren. Kaffee dampft aus ihrem Becher. Die Müdigkeit hätte sie heute fast überwältigt. Aber sie darf nicht einschlafen. Für sie bedeutet das Leben von Flossies Küken einfach alles. Selbst wenn Flossie in Gold aufgewogen würde, das Leben und Überleben jedes einzelnen Kakapos ist ihr mehr wert. Eine Infrarotkamera überträgt das Geschehen in der Bruthöhle auf ihren Laptop. 20 Minuten hat Flossie Zeit, dann wird Deidre Vercoe einschreiten. Das Wärmedeckchen für die Küken hat sie längst ausgepackt. Flossie, komm aber dieses Mal bitte pünktlich zurück, denkt sie bei sich. Andererseits sind die Kleinen so süß, dass sie sich jedes Mal darüber freut, zu ihnen gehen und für sie sorgen zu können. Flossie hat wirklich keine Ahnung davon, mit welchem Enthusiasmus und Aufwand die Neuseeländer den Kakapos zu helfen versuchen.
Die Maden im Speck
    In Neuseeland angekommen, saßen Vorfahren der Kakapos von heute wie die Maden im Speck. Es ging ihnen verdammt gut in Neuseeland. Doch was geschieht mit Tieren, denen es zu gut geht? Sie vermehren sich ungehemmt. Kakapos haben eine ungewöhnlich hohe Lebenserwartung. Experten nehmen an, dass sie über 90 Jahre alt werden können und in der Vogelwelt das höchste Alter erreichen. Wer aber sehr alt wird, macht keinen Platz für die nächsten Generationen. Die Kakapos fielen zudem keinen Feinden zum Opfer. Überfüllung war vorprogrammiert. Die Konsequenz besteht in einem Gedränge, bei dem man sich gegenseitig auf den Füßen und Federn steht. Als Bodenbrüter dürften sie sich auch beim Nisten in die Quere gekommen sein. Auf Nester in Bäumen verzichten sie schon lange. Wer schleppt schon gerne Nistmaterial die Bäume hoch? Einer ungebremsten Bevölkerungsexplosion folgt jedoch irgendwann der Kollaps, spätestens, wenn Ressourcen wie Nahrung oder Nistplätze nicht mehr in genügender Zahl zur Verfügung stehen. Unter diesen Bedingungen ist es nicht gerade sinnvoll, viele Nachkommen zu zeugen.
    Geburtenkontrolle war folglich das Thema der Stunde. Die Kakapos haben erstaunliche Strategien entwickelt, um sich so wenig wie möglich fortzupflanzen. Mir kommt fast der Verdacht, als hätten sie früher Konferenzen der Ältesten abgehalten, um Resolutionen gegen eine drohende Überbevölkerung zu beschließen. Die mit grünen Federn bekleidete Gruppe von Senatoren sprach am Ende von zähen Verhandlungen und umfangreichen Diskussionen Beschlüsse von tiefgreifenden Veränderungen aus. Die Fortpflanzung wurde derart verkompliziert und mit Fallstricken versehen, dass es mir unvorstellbar erscheint, dass die Natur das einfach so hat erfinden können. Die Kakapos haben ihr System, so wenig Nachkommen wie möglich zu erzeugen, immer weiter perfektioniert. Darauf

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