Keine Angst vor Anakondas
Erfahrungen sammelte. Ivo war ehrgeizig, mit einem Ziel vor Augen: Tierfilmer zu werden. Zunächst jedoch folgte eine zweijährige Pause. Er klopfte bei Tierfilmern an, fragte, nervte, ob sie ihn nicht mitnehmen könnten. Als Kameraassistent hatte er schließlich Ahnung von der Technik. Die beiden Tierfilmer schmunzeln, wenn Ivo sich daran erinnert, dass der Tierfilmproduzent Ulrich Nebelsiek ihn einmal fragte, ob er denn den Ruf von Sterntaucher und Prachttaucher unterscheiden könne. Das meisterte Ivo mit Bravour, denn er ist ornithologisch schon von Kindheit an sehr interessiert. Einmal drehte er in Eigenregie einen Kurzfilm mit einer 16-Millimeter-Kamera: Sechs Wochen richtete er das Objektiv auf eine Grauammer. Oliver kommentiert augenzwinkernd, wenn von dem Streifen die Rede ist, wie unglaublich sexy und weltmarktfähig die Grauammer sei. Das darf aber nicht falsch verstanden werden: Ivo ist heute für Oliver einer der besten Kameramänner weltweit – gerade wenn es um die filmische Auflösung und das Erarbeiten von Tierverhalten geht.
1999, noch vor der Reise nach Norwegen mit der ersten Vielfraß-Begegnung, arbeiteten Ivo und Oliver zum ersten Mal zusammen: Bei Ivo Nörenberg klingelte das Telefon. Ulrich Nebelsiek war dran. Es ging um Wisente in Polen. Für den Film Wildes Masuren fehlten Aufnahmen von Wisenten im Schneesturm. Der NDR brauchte diese Bilder besser gestern als morgen: sofort packen und los. Da war sie, die Chance für Ivo, auf die er so lange gewartet hatte. Außerdem fragte ihn Ulrich Nebelsiek, ob er jemanden kenne, den er mitnehmen könne. Ivo rief Oliver an, aber es lief immer nur der Anrufbeantworter. Er probierte es ein ums andere Mal, textete das Aufnahmegerät zu. Oliver schrieb gerade an seiner Diplomarbeit über die Schultergelenke von Fledermäusen unter der Fragestellung, wieso die eigentlich fliegen können und warum sie nicht abstürzen. Erst nach einer Woche meldete er sich endlich bei Ivo: Was denn los sei? Zwei Tage später waren sie unterwegs nach Masuren.
14 Tage blieben ihnen für den Dreh. Der Winter hatte Polen mit strengem Frost bis minus 17 Grad fest im Griff. Anstatt Schneegestöber empfing sie Sonnenschein. Verdrehte Welt, sie wünschten sich sehnlichst ein kräftiges Tief herbei. Nach zehn Tagen hatten sie zwar viel Material von behäbig wiederkäuenden Wisenten, ihr Auftrag aber war nicht erfüllt. Obwohl sie nichts dafür konnten, dass Frau Holle ihre Betten nicht schüttelte, fühlten sie sich wie Versager. Da hatte Oliver eine Idee, um Ivo bei seinem ersten Auftrag auf unerwartete Weise zum Erfolg zu verhelfen: Otter! Sie würden statt der Wisente Otter filmen. Sie hatten von den Ottern in ihrer Vorrecherche erfahren. Das würde Ulrich Nebelsiek vom Hocker reißen – dachte Oliver sich. Auf einer Landkarte entdeckten sie in 200 Kilometer Entfernung einen großen See. Vor Ort fanden sie im Bereich des Abflusses wie erhofft eine freie Wasserstelle im zugefrorenen See vor. Und tatsächlich, die Uferbereiche waren voller Otterspuren. Sie positionierten ihre Kamera und warteten. Aber nach fünf Stunden hatte sich noch immer keiner blicken lassen. Da saßen sie ohne Otter, ohne Schneetreiben. Was für eine Enttäuschung! Würden sie jemals wieder eine Chance bekommen, um sich zu beweisen? Sie wollten schon wieder abbauen, als sie plötzlich einen Schatten huschen sahen. Ein Otter, dann noch einer! Die Otter fingen Krabben und Fische, stahlen sich gegenseitig das Futter. Mehrfach brachen sie im Eis ein, wenn sie an der Eiskante entlangliefen. Eindeutig, die Otter fühlten sich pudelwohl, hatten ihren Spaß. Sie lieferten eine Show, quietschfidel, als wollten sie die beiden dafür entschädigen, dass sie noch keine Wisente im Schneesturm filmen konnten. Ivos Kamera lief, die Aufnahmen gelangen perfekt. Während der Aufnahmen schüttelte plötzlich Frau Holle ihr Federbett kräftig durch. Nichts wie zurück zu den Wisenten. Am nächsten Morgen, am letzten Tag in Polen, waren sie wieder bei den Wiederkäuern, die gerade einen weißen Anstrich bekamen. Das war’s!
Zurück in Hamburg eilten sie sofort zu Ulrich Nebelsiek. Auch Beatrice Nolte, die Chefredakteurin Naturfilm, war da. Gemeinsam sichteten sie das Wisentmaterial. Die Auftraggeber waren sehr zufrieden. Oliver und Ivo hatten exakt das geliefert, wofür sie losgeschickt worden waren. Ulrich Nebelsiek und Beatrice Nolte entspannten sich. Ganz anders die beiden jungen Filmer: Die Aufregung nahm noch zu, denn
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