Keine Angst vor Anakondas
Leinonen ihnen im Voraus deutlich gemacht, dass er die Kontrolle darüber behält, was gefilmt wird, und sich jederzeit die Freiheit herausnimmt, aus dem Filmprojekt auszusteigen. Mutig und wild entschlossen gehen Ivo und Oliver das Wagnis ein. Oliver hat es im Gefühl: »Da geht was. Ein wenig verrückt ist der Antti Leinonen schon – aber wir auch!«
Anttis Dampfer im Wald
Kuhmo, Finnland, Mai 2004. Oliver und Ivo sind in einer günstigen Herberge untergekommen. Ihr Filmequipment ist ausgepackt und einsatzbereit. Ein roter Lada fährt vor. Antti Leinonen steigt aus, schüttelt ihnen die Hände und sagt: »Kommt mit, wir fahren jetzt zum Steinadlerhorst!« Upps. Oliver soll bei ihm einsteigen, Ivo mit seinem Wagen hinterherfahren. Kennenlernphase Fehlanzeige. Das riecht danach, dass er die beiden erst einmal auf Herz und Nieren testen will. Sie sollen ihn dabei filmen, wie er zu dem Horst aufsteigt und die jungen Vögel beringt. Aber erst einmal müssen sie beweisen, dass sie fit sind. Antti walkt im Stechstampf-Schritt durch den Wald, sie hinterher. Viele Kilometer müssen sie ihre Filmausrüstung von rund 30 Kilogramm je Rücken hinter ihm herschleppen. Bei dem inneren Druck, den sie verspüren, wären sie mit ihrem Gepäck sogar an einem Stück nach Helsinki und wieder zurück gelaufen. Sie erreichen den Baum mit dem Adlerhorst. Mit Eisenhaken an den Schuhen steigt Antti hinauf. Oliver und Ivo wissen, dass es sich hier entscheiden wird, ob sie zusammenkommen. Nervös filmt Ivo den Finnen. Etwas Unvorhergesehenes geschieht: Trotz mehrerer Versuche schafft Antti es nicht, über den Rand des Horstes zu klettern. Ist hier der Moment der eigenen Schwäche von Antti mit im Spiel, dass er die beiden seinen Test bestehen lässt?
Nach diesem Tag ist das Eis gebrochen. Von der NDR -Redaktion gewünschte Interviews beziehungsweise Kommentare in die Kamera hinein lehnt Antti trotzdem ab. Andererseits hat er sichtlich Spaß daran, besondere Ereignisse nachzuspielen. Er lässt sich dabei filmen, mit welch ausgeklügelten Verstecken und Techniken er sich vor den Mardern versteckt, ohne entdeckt zu werden. Denn die Bärenmarder mögen die Menschen nicht, wagen sich nur selten in deren Nähe. Die meisten seiner Fotos hat Antti aus einer großen, abgedichteten Holzbox heraus geschossen, die absolut luftdicht ist. Auf das Dach hat er ein etwa fünf Meter langes Abluftrohr montiert. Die Box mit dem Rohr auf dem Dach sieht aus wie ein deplatzierter Dampfer im Wald. Der Schornsteineffekt bringt die Körpergerüche in höhere Luftschichten, die dann vom Wind weit genug weggetragen werden. Die misstrauischen Vielfraße können die Gerüche der Tierfilmer in der Box nicht mehr wahrnehmen bzw. zuordnen. Das klingt einfach, es gehört jedoch viel Erfahrung und Infrastruktur dazu, dies mitten in der urwüchsigen Wildnis umzusetzen. Wie bei einem Jägerstand wird die Box aufgebaut und in freier Wildbahn zurückgelassen, sodass die menschlichen Gerüche verfliegen und sich die Wildtiere an die Anwesenheit des Kastens gewöhnen können.
Endlich ist es so weit, Ivo und Oliver sitzen im Mai 2004 in einer Box auf der Lauer. Eine Ewigkeit haben sie darauf hingearbeitet, ihren Bruderschwur wahr werden zu lassen. Sie sitzen schon einige Tage in der Box und warten auf das Phantom. Tage und Nächte, die unendlich lang werden. Beklemmend ist die Vorstellung, erfolglos Zeit und Geld auf der Jagd nach einem Phantom in den Sand gesetzt zu haben. Dann ein Knacken. Draußen haben sie einen Bewegungsmelder installiert. Der piept jetzt leise. Da draußen ist etwas. Schlagartig sind sie hellwach und furchtbar aufgeregt. Nach fünf Jahren nähert sich der magische Augenblick: Sie sehen wieder einen wilden Vielfraß. Der kümmert sich nicht um die merkwürdige Box, klettert auf einem Baum herum. Jede Millisekunde, die sie ihn sehen, halten sie die Kamera drauf. Im Mai sind die Lichtverhältnisse in der Dämmerung alles andere als günstig. Ivo holt jede Lichtverstärkung aus der Kamera heraus, weiß allerdings, dass die Qualität des Bildes darunter leidet. Aller Anfang ist schwer. Oliver lacht, wenn er an die erste Begegnung mit dem Vielfraß in Finnland denkt, und vergleicht die Qualität mit der von Überwachungskameras zur Terroristenfahndung. Damals konnte er noch nicht wissen, was alles folgen sollte.
We are living in a Box
Wieder einmal betreten die Tierfilmer ihren Unterschlupf, schließen die Box zu, dichten sie ab. Anfangs werden die Kameras
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