Keine Angst vor Anakondas
abgerundete Hightech-Schuhe ohne Ecken und Kanten und kam in einer Schräge ins Rutschen, erst ganz langsam, fand das zunächst lustig. Dann wurde es steiler, er rutschte schneller und schneller. Etwa 60 Meter war die Schräge lang, bis sie abrupt endete: Sechs Meter unterhalb der Abbruchkante rauschten die Wellen des eisigen Meeres. Oliver konnte nicht abbremsen. Panik erfasste ihn. Er rief die anderen um Hilfe, die die Situation noch nicht erfasst hatten. Ivo zögerte aber nicht lange, holte Schwung und schlitterte zu Oliver, verfehlte ihn jedoch, da er zu viel Schwung hatte, und überholte ihn. Jetzt hatten beide das gleiche Problem. Ivo kantete seine Schuhe ins Eis, die waren indes nur wenig besser für Eis geeignet als die von Oliver. Letzterer entdeckte dann einen Stein, der aus der Eisplatte herausschaute. Den steuerte er an, versuchte sich festzuhalten, konnte aber nur seinen Schwung abbremsen. Schließlich nutzte er die Kameraplatte zum Abbremsen und kam tatsächlich zum Stehen. Auch Ivo schaffte es mit Müh und Not, auf allen vieren anzuhalten. Die Regisseurin und der Geschäftsführer des WWF fanden ein Seil im Auto und zogen sie wieder hoch. Das war knapp – und eine Lehrstunde in puncto Eis.
Großmutters Rockzipfel
Es gibt Gegenden, in denen sich die Vielfraße häufiger aufhalten. Antti kennt diese Orte. Das sind die magischen Flecken in den großen Waldgebieten, zu denen er seine Holzverstecke schleppt. Als er Oliver und Ivo so eine Stelle zeigt, sehen sie in einiger Entfernung einen Vielfraß, der nicht flüchtet. Antti glaubt zu wissen, warum er nicht fortläuft. Es ist ein Weibchen mit Namen Aura, das er kennt. An der Fellzeichnung sind die einzelnen Tiere leicht zu unterscheiden. Hinter ihr verbirgt sich eine Höhle zwischen großen Felsen, in denen Aura im Februar des Vorjahres zwei Junge, die bei der Geburt schneeweiß sind, zur Welt brachte. Ein perfekter Platz zum Filmen. Die Mütter sind in der ersten Zeit standorttreu, denn sie nehmen ihre Jungen erst nach acht bis zehn Wochen auf ihre Streifzüge mit. Hier ist der Erfolg vorprogrammiert. Wunderschöne Bilder von Aura mit ihren beiden spielenden Jungen kommen zustande. Oliver und Ivo erarbeiten sich eine große Fülle an Material von grandioser Qualität. Später werden sie die Qual der Wahl haben, welche Sequenzen in den Film geschnitten werden. Es ist Anttis genial ausgeklügeltes Versteck im Vielfraßgebiet, das ihnen das Glück dieser Filmaufnahmen ermöglicht hat. Glück? Nein, es ist schwer erarbeitete, logische Konsequenz aus langem Ansitzen in ihren Dampferverstecken. An Ausdauer mangelt es den beiden wahrlich nicht. Insgesamt neuneinhalb Monate verbringen sie während zweier Jahre in den finnischen Wäldern an der russischen Grenze …
Einmal bekam Antti einen Tipp von einem befreundeten Lokomotivführer: Nahe eines Bahnübergangs liege ein totes Elchkalb. Ein erstklassiger Köder, den Kadaver will er unbedingt haben. Ivo und Oliver kommen mit und filmen, wie er den Elch auf eine große Plastikschale hievt und die Schale mit Schnüren über die Bahnschwellen zieht. Es wird sofort klar: Das macht er nicht zum ersten Mal. Hinter seinem Lada ist ein Anhänger angekuppelt, auf den er den Elch zieht. Auf geht’s in den Wald. Der tote Elch wird vor einem Dampfer ausgelegt. Oliver und Ivo machen es sich darin so bequem, wie es eben geht. Antti ist dieses Mal nicht dabei. Schon am nächsten Morgen ist die ihnen bekannte Aura da und schlägt sich schmatzend den Bauch voll. Ein zweiter Vielfraß taucht auf, es ist Rajas Sohn, der Enkel von Aura. Raja ist die mittlerweile vierjährige Tochter von Aura. Erst einen Monat zuvor hatten sie Raja mit ihren beiden Kleinen gefilmt. Selbst Antti hatte noch nie so junge Vielfraße gesehen. Erst nachdem Großmutter Aura satt ist, läuft Rajas Sohn zum Elch und frisst ausgiebig. Ivo und Oliver kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als dann auch noch die Schwester von Rajas Sohn erscheint. Von Aggression keine Spur. Raja, die Mutter der beiden, bleibt verschollen. Verblüfft stellen die Tierfilmer stattdessen fest, dass noch ein weiterer Vielfraß vor ihre Kamera läuft. Es ist ein Sohn von Aura, der erst im letzten Jahr geboren wurde. Den filmen sie, als er zu seiner Mutter läuft und versucht, Milch zu trinken. Nach ein paar erfolglosen Versuchen lässt sie ihn tatsächlich gewähren.
Später zeigen die beiden Tierfilmer Antti die Filmaufnahmen. Der ist erstaunt und begeistert. Er kennt die fünf
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