Keine Angst vor Anakondas
Brown, Mr. Chocolate, Wendy oder Saturn. Seine Liebe zu diesen Tieren ging so weit, dass er sich Jahr für Jahr mit einer kleinen Propellermaschine in diese einsame Gegend Alaskas fliegen ließ, um in den Sommermonaten bei seinen Bären zu sein.
Die Ureinwohner Alaskas gingen den Bären aus dem Weg – und die Bären ihnen. Treadwell ignorierte jene unsichtbare Grenze der Bären, sodass sie auf ihn reagierten. Oft genug musste er sich ihrer Neugier oder dem Unwillen ob seiner Nähe erwehren. In einer seiner Videoaufnahmen erzählte er, dass er sich oft in Lebensgefahr befand. Die Kamera war sein ständiger Begleiter geworden, ihr vertraute er sein Innerstes an. Vor laufender Kamera, mit einem wenige Meter entfernten Bären im Hintergrund, beschrieb er, wie stark die Tiere sind, dass sie blitzschnell töten und einem den Kopf abreißen können. Seine an Verblendung grenzende Begeisterung für die Bären schien unendlich. Er versuchte ihnen so nah wie möglich zu sein, sie in sich aufzunehmen, sie regelrecht zu inhalieren, so zu werden wie sie. Er sah sie als Kinder, die er beschützen musste. Er suchte in ihnen seine eigene Bestimmung, die ihn letztendlich auf grausame Weise einholen sollte.
Treadwell war sehr in Sorge um seine Bären. Besorgt war er, weil gelegentlich sowohl Jäger als auch Wildhüter bis in sein Gebiet vordrangen. Mehrfach hatte er Strafen zahlen müssen, weil er sich nicht an die Regeln des Nationalparks gehalten hatte. Eine dieser Regeln besagt, dass man mindestens 100 Meter Abstand zu den Bären einzuhalten habe, wogegen Treadwell fortwährend verstieß. Das regte ihn auf. Es regte ihn sogar so sehr auf, dass er sich gar nicht mehr einkriegte vor seiner Kamera, dass er hasserfüllt auf den Wildlife Service schimpfte und wütend den Stinkefinger zeigte. In einer Art paranoidem Katz- und Maus-Spiel versteckte er sogar sein Camp vor den Rangern.
Während der Wintermonate nahmen ihn seine Freunde auf. In dieser Zeit arbeitete er meist als Kellner und suchte in den USA zunehmend die Öffentlichkeit, um über die Medien einen anderen, seiner Meinung nach besseren Schutz der Bären zu erwirken. Er wurde nicht müde, selbst in Schulklassen über seine Bären zu erzählen und damit schon bei den Kindern für seine Sache zu werben. Geld nahm er dafür nie. Ihm wurde viel Sympathie entgegengebracht, und er avancierte zu einem, wenn auch oft belächelten, nationalen Volkshelden auf seinem Kreuzzug gegen die Jäger, Ranger und die Parkverwaltung. Er gründete die Stiftung »Grizzly People«, deren Aufgabe noch heute darin besteht, Grizzlys weltweit zu schützen. Von anderer Seite wurde er allerdings oft nur als verrückter Spinner abgetan.
Bärendienst
Die Wildhüter waren alles andere als glücklich über Treadwell und kritisierten ihn heftig. Sie sahen es gar nicht gerne, dass die Bären an die Anwesenheit der Menschen gewöhnt wurden und diese gar in direkten Kontakt zu ihnen traten. Denn kaum jemand weiß, wie er sich in freier Wildbahn einem Bären gegenüber verhalten muss, der die Scheu vor Menschen verloren hat. Und Bären, die Menschen zu nahe kommen oder sie sogar anfallen, werden kurzerhand erschossen.
Treadwell hatte keine Waffe und würde sich nach eigener Aussage lieber von einem Bären töten lassen, als diesen zu erschießen. Da war er absolut kompromisslos. Für den Fall, dass er von einem Bären getötet würde, wünschte er sich sogar, dass der Bär am Leben bleiben solle. Doch die Vorschriften der Parkverwaltung sahen dies nicht vor.
Timothy Treadwell stammte aus einer New Yorker Mittelklasse-Familie und wuchs mit vier Geschwistern auf. Nichts deutete darauf hin, dass er einmal eine wenn auch umstrittene Bärenberühmtheit werden sollte. Seine Sportlerkarriere als Kunstspringer musste er wegen einer Verletzung abbrechen. Daraufhin versuchte er sich als Schauspieler, war aber wenig erfolgreich. Gerade in den USA ist es um Sozialversicherungen bekanntlich schlecht bestellt. Wer arbeitslos ist oder ohne Aufträge dasteht und keine Rücklagen besitzt, der gerät schnell in die private Insolvenz. Treadwell tröstete sich mit Drogen, er rutschte weiter ab und wurde zunehmend exzentrisch. Seine Verzweiflung gipfelte in einem Selbstmordversuch. Im Grunde war er eine verkrachte Existenz, ein Mensch, der in unserer modernen Zeit mit seinem Leben nicht zurechtkam.
Auf der Suche nach sich selbst verbrachte er einen Sommer allein in der Natur Alaskas. Hier fühlte er sich frei. Er wollte weg von
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