Keine Angst vor Anakondas
Fünfzigerjahre. Noch heute kommen ältere Damen ins Schwärmen und blühen auf, wenn sie an ihr Idol aus Jugendzeiten, den gut aussehenden Hans Hass denken. Kurt Hirschel dagegen blieb im Hintergrund. Eine zweite große Filmexpedition auf die anderen großen Weltmeere folgte. Unter schwierigsten Bedingungen drehte Hirschel in vielen Ländern und auf vielen Meeren. Auf der zweiten Fahrt erfüllten sie ihren Auftrag zur Finanzierung der Expedition, indem sie Material für ganze 26 Folgen von jeweils 30 Minuten drehten. Die Drehbücher schrieb immer das Abenteuer selbst.
Kurt Hirschel ist ein Tüftler durch und durch. Und noch bevor das Wort »digital« erfunden war, arbeitete er mit einer Unterwasser-Fernsehkamera, mit der aus über 100 Metern Entfernung gut und sicher Videofilme auf die Xarifa übertragen wurden. Videorekorder gab es damals noch nicht, und so musste man einen speziellen Bildschirm mit einer Filmkamera aufnehmen.
Nach den Expeditionen gründete Kurt Hirschel Ende 1958 ein eigenes Filmstudio, das er »Labor für wissenschaftlichen Film« nannte. Bald trat er eine Stelle als Kameramann beim Süddeutschen Rundfunk an. Er produzierte unter anderem über 50 biologische Lehrfilme, sorgte also nicht nur für große Fernsehmomente, sondern mit Beiträgen wie etwa über marine Borstenwürmer oder Schlangenseesterne bei ganzen Generationen von Naturbegeisterten auch für entspannte und spannende Stunden.
Sterns Stunde
Bei den meisten Sendungen der gesellschaftskritischen Tierserie Sterns Stunde war Kurt Hirschel Kameramann. Horst Stern zeigte nicht die schöne, heile Welt der Tiere, ganz im Gegenteil, sein Konzept bestand in einer kritischen Momentaufnahme der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Am bekanntesten wurde der provokante Film Bemerkungen über den Rothirsch , der im Jahr 1971 ausgerechnet am Weihnachtsabend ausgestrahlt wurde und die Jäger zur Tollwut trieb. In weiteren gesellschaftskritischen Beiträgen zeigte er, wie Schweine zur Sau gemacht werden und wie, buchstäblich vom Wahnsinn geritten, Turnierpferde gequält werden.
Wenn eine neue Folge anstand, traf sich der bekannte Journalist Horst Stern mit Kurt Hirschel. Er verstand es, den Kameramann heißzumachen, indem er ihm auf beunruhigend ruhige, dennoch charismatische Weise von seinen Ideen erzählte. Dann erklärte er ihm, auf welche biologischen Aspekte es ihm besonders ankam, egal, ob es sich nun um Schwein, Pferd oder Spinne drehte. Drehbücher gab es nie. Doch Kurt Hirschel war ein genialer Techniker und Tüftler, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Wenn er eine Vorstellung von einer Filmsequenz hatte und er dazu eine spezielle Ausrüstung brauchte, die es nicht gab, dann baute er sie sich selbst.
Tierfilmer betreiben oft einen Aufwand für perfekte Aufnahmen, der irrwitzig zu sein scheint. Ich denke an einen Bachlauf, den Eugen Schumacher, ebenfalls einer der Urväter des Tierfilms, auf der geräumigen Dachterrasse seines Ateliers einmal nachbaute. Für seinen Film Salmo, die Forelle (1942) hatte er zuvor wochenlang das Leben eines Forellenmännchens in einem Bach gefilmt. Sein erklärtes Ziel bestand in Aufnahmen des Balzverhaltens und Ablaichens. Die Sache hatte nur einen Haken, Bachforellen laichen im Winter ab, und als die Tage immer kürzer und trüber wurden, erkannte Schumacher, dass das Licht für den im Bach stehenden Fisch nicht ausreichen würde. Da schleppte er Felsen, Kies und Wurzelwerk vom Bach auf seine Dachterrasse und baute den Bach originalgetreu nach. Wenige Tage später schwamm »Salmo«, wie er die Forelle nannte, bereits in dem künstlichen Biotop und wurde hier langsam an Scheinwerferlicht gewöhnt. Die Forelle fühlte sich in dem sauerstoffhaltigen, strömenden Wasser sichtlich wohl. Dann setzte Schumacher ein Weibchen dazu. Schon nach wenigen Minuten pirschte sich »Salmo« an sie heran und umschmeichelte sie nach allen Regeln höchst entflammter Forellenliebe. Eugen Schumacher gelangen trotz klirrender Kälte so starke Bilder vom Verhalten der Bachforellen. Der riesige Aufwand war belohnt worden. So weit war Kurt Hirschel aber noch lange nicht …
Horst Stern galt als schwieriger Mensch, dessen Ansprüchen nicht leicht zu genügen war. Als ich mich einmal mit Kurt Hirschel unterhielt, nutzte ich die Gelegenheit und sprach ihn auf die schwierige Zusammenarbeit an. Doch Hirschel winkte ab: »Wir haben über den Film gesprochen; dann sagte er: ›Mach mal!‹, und verschwand. Alle paar Tage oder Wochen haben
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