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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze und versuchte sich zu konzentrieren. Seine Schläfen pochten, die Augäpfel brannten, als schwämmen sie in Säure. Dafür arbeitete sein Verdrängungsmechanismus mit gewohnter Präzision, beseitigte jeden Rest von Schuldgefühl und hinterließ ein blankgeputztes Gewissen.
    Letzten Endes hatte er Koch erlöst, so mußte man das mal sehen. Wie hätte der Alte zu leiden gehabt im Endstadium seiner Krankheit! Wenn Schlemmer auch bereit war, sich die Zweifelhaftigkeit seines Tuns einzugestehen, hatte er dem Mann doch eine Menge erspart. Man würde über ein unkonventionelles Begräbnis nachzudenken haben, sicher. In aller Stille. Irgendwo. Vielleicht an unterschiedlichen Stellen, wenn’s nicht anders ging. Dann den Wucherer ausbezahlen und die verbleibenden neuneinhalb Millionen so verwenden, daß der Zustand seines Nasenbeins fortan nie wieder in Frage gestellt würde.
    Schlemmer, der Mörder, entmaterialisierte sich zugunsten Schlemmers, des Räubers, einer ebenso flüchtigen Erscheinung, sobald das Geld gefunden wäre.
    Es sei denn …
    Nein. Koch hatte viel zu viel Angst gehabt um seine geliebten Millionen, um sie anderswo zu verstecken als im Bereich der eigenen vier Wände. Das Geld hatte ihn vergiftet, eben weil es ständig in seiner unmittelbaren Nähe gewesen war, zum Greifen nahe und doch unerreichbar kraft welch abstruser Schutzmaßnahmen auch immer.
    Was hatte der Alte noch gleich gesagt? Ich käme schon dran, aber es wäre mit mächtig viel Aufwand verbunden.
    Also mit Arbeit. Nicht unbedingt Schlemmers Sache. Womöglich müßte man den halben Fußboden abtragen oder die Tapeten von den Wänden reißen. Oder Koch hatte die Einbände von Büchern aufgeschnitten und die Scheine einzeln versteckt. Alles war möglich. Hatte ja reichlich Zeit gehabt in seiner Einsamkeit, der Alte.
    Besser wär’s, durch Nachdenken draufzukommen, als die komplette Wohnung umzupflügen. Schlemmer hatte nur einen kleinen Teil davon gesehen. Allein die Diele war zum Haareausraufen lang. War das Geld unter dem Teppichboden? Unter dem Deckenputz? Oder lag es irgendwo so offen herum, daß man es glatt übersah? Halt, nein, dann wäre es ja kein Problem gewesen, dranzukommen. Koch mußte einen anderen Weg gefunden haben.
    Im Sofa eingenäht? Zu blöde. Der Alte hatte sicher nicht über die Phantasie eines Schlemmer verfügt, aber doch wohl über einen gewissen Einfallsreichtum. Sofa und Matratze schieden aus. Zuckerdose ebenfalls. Es gab keine Zuckerdosen, um zehn Millionen in Tausendern darin unterzubringen.
    Wo dann?
    Schlemmer kniff die Augen zusammen. Etwas blendete ihn. Verblüfft registrierte er, daß sich vor ihm ein glutroter Ball aus den Baumwipfeln erhob.
    Sonnenaufgang. Höchste Zeit, wegzukommen, bevor ihn jemand hier in Kochs altem Wagen sah, mit einer nicht angezündeten Zigarette im Mundwinkel.
    Erst beim dritten Mal sprang der Mercedes an. Schlemmer fühlte sich mittlerweile weniger betrunken, als er vermutlich war. Während er zurückfuhr, ging er noch mal fieberhaft die Möglichkeiten durch, die eine Wohnung bot. Welches Versteck hätte er selber gewählt? Den Knick im Toilettenrohr? Mußte man durch die Scheiße, um reich zu werden, so wie meistens?
    Er gab Gas. Zuviel Gas.
    Kurz vor der Brüsseler Straße überholte ihn ein Polizei-fahrzeug. Schlemmers Nerven wickelten sich umeinander. Er rumpelte beim Abbiegen über den Bordstein, daß es krachte, und der Mercedes blieb mit einem Ruck stehen. Die Streife fuhr weiter. Zitternd wartete er, bis sie jenseits des Holiday Inn verschwunden war, riß die Tür auf und rang verzweifelt nach Luft. Es dauerte eine Weile, bis das Gefühl, ersticken zu müssen, von ihm gewichen war. Immer noch heftig atmend und mit einem Preßlufthammer unterm Brustbein ließ er den Wagen wieder anfahren. Eine weitere weißgrüne Begegnung würde er nicht überleben, soviel stand fest.
    Wenn er nur schon das Geld hätte! Wenn er nur schon die Leiche losgeworden wäre!
    Wenn er nur irgendwann in seinem Leben klüger gewesen wäre!
    Nicht drüber nachdenken! Überflüssig.
    Fast direkt vor Kochs Haustür fand Schlemmer einen Parkplatz. Inzwischen waren mehr Leute in den Straßen unterwegs. Jemand verteilte Wurfsendungen. Schlemmer wartete einen Moment, dann eilte er mit langen Schritten durch die Toreinfahrt, Kochs Schlüsselbund schwer in der Rechten, verschaffte sich Einlaß ins Haus, hastete die Treppen hinauf und blieb vor der geschlossenen Wohnungstür

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