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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Erwiderung. Er sah zur Seite.
    »Tut mir leid, Schlemmer.«
    »Warum hast du mir den ganzen Quatsch dann überhaupt erzählt?« fuhr Schlemmer ihn an. »Ich stecke so tief in der Scheiße, daß die Fliegen auf mir landen, und du reibst mir deine blöden Millionen unter die Nase.«
    Koch erbleichte.
    »Schlemmer«, sagte er leise, »ich hab’s dir erzählt, weil ich jemanden brauchte, dem ich es erzählen konnte. Weil ich es einfach nicht mehr aushielt. Ich hab die Sache viel zu lange mit mir rumgeschleppt. Das Geld ist doch völlig unwichtig, mir ging’s nur darum, daß ich endlich meine Geschichte erzählen durfte.« Er machte eine Pause und starrte Schlemmer ins Gesicht, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Wie seltsam. Hab ich doch tatsächlich angenommen, du wärst mein Freund.«
    »Bin ich ja auch«, gab Schlemmer mühsam beherrscht zurück. »Ich bin dein Freund, und deinem Freund geht’s dreckig.«
    »Das tut mir leid.«
    »Offenbar nicht.«
    »Doch. Du tust mir leid. Ein bißchen schade, ich war immer der Meinung, du wärst um so vieles größer als ich.«
    »Ich brauche ja nicht viel«, bettelte Schlemmer. Seine Gedanken rasten. »Gib mir fünfzigtausend. Du bekommst sie zurück, ich schwör’s dir.«
    »Ach, Schlemmer.« Koch schüttelte traurig den Kopf. »Wie schade. Es wäre so schön gewesen, meine Geschichte jemandem zu erzählen, der sie wirklich hören will. Aber Schlemmer sieht nur Schlemmer. Tja. Trotzdem danke für deine Zeit. Wir sollten zurückfahren.«
    »Koch!« heulte Schlemmer.
    Der Alte beachtete ihn nicht. Er drehte sich um und ging die Böschung hinauf zum Wagen.
    Schlemmer erbebte.
    »Heil dir«, hörte er eine Stimme flüstern; es war seine. »Heil!«
    Koch ging weiter.
    Wozu wollte der Bastard leben? Er war verbraucht. Alt. Am Ende. Wertlos.
    Was für eine Infamie, wie bodenlos! Dieses fleckige, zerknitterte Klappergestell würde sein verpfuschtes Leben weiterleben, vielleicht nur Tage oder Wochen. Zehn Millionen verschwendet für einen krebszerfressenen alten Nichtsnutz, der nicht abtreten wollte. Und dafür Schlemmer geopfert, Schlemmer, der sich in dieser Sekunde endgültig als das erkannte, was er war: ein Selbstbetrüger, aufdringlich und ungeliebt, zur Mittelmäßigkeit verdammt, ebenso einsam wie Koch, aber viel weniger stark.
    Haß brach aus ihm hervor. Seine Gedanken verklumpten zu einer schwarzen Masse. Mit wenigen Schritten war er hinter Koch.
    Verbirg dich, Sternenlicht!
    Schau meine schwarzen, tiefen Wünsche nicht!
    Sieh, Auge, nicht die Hand; doch laß geschehen, was, wenn’s geschah, das Auge scheut zu sehen.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Schlemmer begriff, warum er nur noch den abgebrochenen Flaschenhals in der Hand hielt.
    Koch lag ausgestreckt vor ihm. Sein Hinterkopf war eine blutige Masse. Drumherum Glassplitter, wo man hinsah.
    Geistesabwesend starrte Schlemmer auf die Leiche. Dann begann er zu zittern und fiel neben dem Körper des Alten auf die Knie.
    »Das wollte ich nicht«, wimmerte er.
    Er versuchte zu weinen, aber die Tränen blieben aus. Warum nur war er so verkümmert, so erbärmlich? Kniete neben einem Mann, dem er gerade den Schädel zertrümmert hatte, und dachte … Was eigentlich?
    Das Geld!
    Hastig sah er sich um. Offenbar hatte niemand den Mord beobachtet. Sogar die Enten hatten sich verzogen.
    Wo hatte Koch das Geld versteckt?
    Der Alte war tot. Er konnte nichts mehr anfangen mit seinen Millionen, Schlemmer dafür um so mehr. So lagen nun mal die Dinge.
    Schlemmer, der Oberflächenbewohner, den die Tiefe nicht interessierte, rieb sich die Augen. Nach dem ersten Schock rastete sein Verstand wieder ein und gebot ihm, vor allem die Leiche wegzuschaffen.
    Auf allen vieren kroch er zum See und hielt den Kopf unter Wasser, bis er wieder klarer denken konnte. Sein Blick fiel auf den Wagen. Augenblicklich die einzige Möglichkeit. Also ran.
    Er durchwühlte Kochs Kleidung, entnahm ihr Haus-und Autoschlüssel, öffnete den Kofferraum und wuchtete den Leichnam hinein. Der Kopf des Alten fiel nach hinten, richtete einen Moment lang glasige Augen auf den Mörder, kippte dann zur Seite weg. Unter Stöhnen bugsierte Schlemmer den Toten ins Reich der Warndreiecke und Verbandskästen, stellte sicher, daß nichts heraushing, und knallte den Kofferraumdeckel zu. Koch war verstaut.
    Nachdenken!
    Schlemmer setzte sich in den Wagen, förderte aus seiner Jacke ein Päckchen Marlboro zutage und entnahm ihm eine Zigarette. Kalt klebte sie an seiner Unterlippe. Er

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