Keine Angst
Zugriff unmöglich machte, bloß damit’s kein anderer in die Finger kriegte?«
»Der Fluch gelung’ner Taten«, brummte Schlemmer.
»Ja.«
»Ich will dir mal was sagen, Koch. Es ist schäbig, daß du Geld rumliegen läßt.«
»Geld ist Papier«, konstatierte Koch. »Aber du hast natürlich recht.«
Wieder trank er, nahm gleich mehrere Schlucke. Sein Adamsapfel, eingebettet in pergamentene Falten und hervortretende Sehnenstränge, zuckte auf und nieder. Luftbläschen wirbelten dem himmelwärts gerichteten Flaschenboden zu. Schlemmer fragte sich, wo der Alte den ganzen Whiskey hintat. Ein Wunder, daß er überhaupt noch stehen konnte.
»Weißt du«, sagte Koch, nachdem er einen langanhaltenden Rülpser in die friedvolle Stille entlassen hatte, »als der Arzt den Krebs fand, war’s mir, als ob mich einer rüttelt und mir zuflüstert: Hey, Koch, aufwachen. Du hast schlecht geträumt. Sieh, was aus dir geworden ist. Und ich sah. Mein Gott, ich sah! Ich hatte mir zehn Millionen aufgespart für ein besseres Leben, und plötzlich war das Leben zu Ende. Ich kam mir so töricht vor, ein solcher Idiot war ich gewesen! Diese absurden Verstecke, all die schäbigen Tricks. Jahre verpfuscht. Und was hatte mir der ganze Zirkus eingebracht? Nichts! Weniger als nichts. Nur, daß ich zum Eigenbrötler und Misanthropen verkommen war, der Unglücklichste von allen.« Er seufzte. »Die letzten zwei Monate habe ich damit verbracht, mir den Krebs zum Freund zu machen. Hab mich gefragt, ob es denn wirklich so schrecklich ist, sterben zu müssen.«
»Und? Zu welchem Schluß bist du gelangt?«
»Daß Sterben nichts Schlimmes ist.« Koch blickte zum Himmel hinauf. »Wenn man gelebt hat. Und ich will endlich wieder leben! Ich habe beschlossen, meine Millionen – auch wenn es ja eigentlich gar nicht meine sind – auszugeben.«
Schlemmer fühlte einen Stich. Der elende alte Mistkerl!
»Du hast aber doch gesagt, du kannst nicht ran«, sagte er bitter.
»Ach was.« Koch grinste. »Ich hab mir einen kleinen Gag ausgedacht, der es mir erschwert. Dran käme ich schon, aber es wäre mit mächtig viel Aufwand verbunden. Etwa so, als ob du die Zigaretten hinter die Schrankwand wirfst, um dir das Rauchen abzugewöhnen. Du müßtest schon die ganze Wand abbauen, was absurd wäre. Aber ich war halt ein absurder Mensch. Lieber dafür Sorge tragen, daß kein anderer drankann, als selber dranzukommen.« Der Alte lachte trocken. Mit einemal schien er fröhlich und ausgeglichen. »Ich habe das Scheißgeld regelrecht in Absurdität verpackt. Aber damit ist jetzt Schluß. Morgen werde ich dem ganzen Spuk ein Ende bereiten. Oder schon heute. Verdammt, ein neuer Tag. Ich darf einen neuen Tag erleben! Ich bin das erste Mal seit Jahren wieder glücklich!«
Schlemmer versuchte, sich dieses phänomenale Versteck vorzustellen. Hatte Koch seine Millionen auf den Mond geschossen?
Seine Mundwinkel zuckten. Er nahm Koch die Flasche aus der Hand und zog den Korken raus. Kaum, daß er noch was von dem Whiskey schmeckte. Alles in ihm war wie abgestorben. Schlemmer, der große Schlemmer – ein Nichts.
»Weißt du was, Koch?«
»Nein.«
»Ich brauch das Geld.«
Koch sah ihn lange an.
»Mir ist schon klar, daß du es brauchst, Junge. Die ganze Zeit über war mir das klar.«
»Dann gib mir was davon. Du wirst nicht alles brauchen in der Zeit, die dir noch …«
Er brach ab und preßte die Kiefer aufeinander.
»Die ich noch zu leben habe? Hm.«
Koch beobachtete ihn weiter. Dann zuckte er die Achseln. Leicht schwankend, mit der Vorsicht eines Seiltänzers, ging er bis an den Rand des Wassers und beugte sich vor. »Ich kann mich sehen, hey! Ich existiere. Freut mich, Herr Koch. Guten Morgen, Herr Koch! Wie lange noch, Herr Koch?«
Schlemmer fühlte, wie die Wut in ihm zu brodeln begann. »Koch, verdammt noch mal!«
Der Alte drehte sich um und sah Schlemmer mitleidig an. »Hast du eigentlich gelernt, bitte zu sagen?«
»Komm mir jetzt nicht mit dem Scheiß! Ich hab andere Probleme.«
»Wichtigere, vermute ich, als bitte zu sagen.«
»Ja. Lebenswichtig.«
Koch nickte. »Lebenswichtig. Machst du dir eine Vorstellung davon, was dieses Wort für mich bedeutet? Ich will leben, Schlemmer! Richtig leben! Nach all den Jahren. Wie lange es auch dauern mag, aber jeden Pfennig, jede Mark, jeden Tausender, alles, was ich habe, werde ich investieren, wenn ich dafür nur eine einzige Minute mehr bekomme.«
Die Augen des Alten loderten. Schlemmer suchte nach einer
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