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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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so warmherzig, daß Cora beinahe schlecht wird. Wo soll das hinführen? Hätte sie bloß nicht auf diesen Schlappschwanz von David gehört! Begegnungen wie diese ziehen mitunter grauenvolle Spätfreundschaften nach sich. Einladungen zu Grillabenden und Diagucken.
    »Ich versuche, das Zähneziehen zu vermeiden, wenn’s geht«, sagt Susanne.
    Cora nickt. »Prima. Könntest du es möglichst auch bei mir vermeiden? Aus alter Freundschaft und so.«
    »Tja.«
    »Hauptsache, du machst was gegen die Schmerzen.« Cora beginnt zu nuscheln. »Es tut so weh.« Das Nuscheln ist eigentlich unnötig, in seiner dramaturgischen Wirkung jedoch nicht zu unterschätzen.
    Susanne betrachtet sie mit gekrauster Nase.
    »Okay. Du bist nicht hier, um dich von Schulgeschichten langweilen zu lassen. Gehen wir also an die Arbeit.«
    »So meinte ich das nicht!« Scheiße, jetzt ist sie beleidigt! Kränke niemals deinen Zahnarzt! »Ich wollte nur sagen …«
    »Nein, schon gut. Das ist doch kein Problem, ich bitte dich. Tut mir leid. Du hast Schmerzen, und ich labere dich voll. Wir können später noch ein bißchen quatschen. Also laß mal sehen, was du da Schlimmes hast.«
    Ein Kratzer und ein kleiner Knickspiegel tauchen in Susannes Händen auf. Cora öffnet bereitwillig den Mund und läßt Frau Doktor auf Expedition gehen.
    »Hm«, sagt Susanne. »Hhhmmmm.«
    Speichel sammelt sich unter Coras Zunge. Zwischen den Brauen der Ärztin entsteht eine steile Falte.
    »Oh! Das sieht nicht gut aus. Gar nicht gut.«
    Das leise schrrp schrrp des Kratzers treibt Cora den Schweiß auf die Stirn. Aber Frau Doktor ist vorsichtig. Was schmerzt, ist einzig Coras Angst, Frau Doktor könne mit dem Kratzer irgendwo hängenbleiben oder ihr das Ding versehentlich ins Zahnfleisch bohren. Es gibt so viele Idioten und Dilettanten.
    Aber nichts Derartiges geschieht. Nur, daß in Susannes Blick eine Veränderung vor sich geht.
    »Wie lange warst du eigentlich nicht mehr beim Zahnarzt, Cora?«
    Cora gibt unartikulierte Laute von sich. Sie haßt es, wenn Zahnärzte meinen, sich mit ihren Patienten unterhalten zu müssen, und dämliche Fragen stellen, die mit sperrangelweit geöffnetem Mund unmöglich zu beantworten sind.
    »Na, wie auch immer.«
    Susanne schüttelt mitleidig den Kopf. Sie greift mit zwei Fingern in Coras Mund und bewegt den Zahn vorsichtig hin und her.
    »Der ist jedenfalls total vereitert. Wackelt jetzt schon. Hier, trink und spuck aus.«
    Unversehens sieht Cora einen kleinen weißen Becher in ihre Linke gedrückt, nimmt einen Mundvoll Flüssigkeit und speit in das Emaillebecken. Sofort läuft aus dem Rand frisches Wasser nach und spült die bläschenwerfende Mischung aus Speichel und winzigen Blutspuren in den Abfluß.
    Diesmal kein Anshändchennehmen und Nachhausegehen. Torturen kündigen sich an.
    »Der muß aber doch nicht gezogen werden?« fragt Cora kläglich. Die Mitleidstour. Kommt auch immer wieder gut, speziell bei Männern.
    Aber Susanne zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt. Längere Zeit scheint sie in sich hineinzuhorchen. Dann ruft sie nach hinten: »Frau Schweiger, haben wir noch Patienten?«
    Die Ungestalt der Sprechstundenhilfe nähert sich schlurfend und taucht neben Cora auf.
    »Für heute nischt mehr«, verkündet sie. »Wat kann isch tun?«
    »Feierabend machen«, sagt Susanne.
    »Isch kann aber gerne assistieren!«
    »Weiß ich.« Wieder das warmherzige Lächeln. »Trotzdem. Frau Lindfors ist eine alte Schulfreundin. Wenn man sich so lange nicht gesehen hat, gibt’s viel zu tratschen. Gehen Sie ruhig.«
    »Nä, sowat!« trompetet der Fettarsch. »Is ja ’n Ding!«
    Es scheint sie regelrecht glücklich zu machen, daß Frau Doktor eine alte Freundin wiedergetroffen hat. Warum bloß, fragt sich Cora entgeistert. Diese Menschen, die sich ständig für andere freuen, gehen ihr furchtbar auf den Wecker! Diese triefende Selbstlosigkeit.
    »Na, dann vill Spaß. Dann will isch mal.«
    »Schönen Abend.«
    »Auch so.«
    Frau Schweiger geht und schlägt geräuschvoll die Tür hinter sich zu.
    »Und?« fragt Cora.
    »Was und?«
    »Der Zahn?«
    »Oh, tut mir leid.« Susanne zuckt die Achseln. »Den kann ich nur noch ziehen. Kommt ja fast von selber raus.«
    Mist!
    »Es tut so weeeh!« stöhnt Cora.
    »Ach was! Ich geb dir erst mal eine Spritze, dann tut dir nichts mehr weh.«
    »Nein. Das tut ja noch mehr weh!«
    Susanne starrt sie verwundert an.
    »Nein? Ist es dir lieber, wenn ich das Ding nach alter Bartscherertradition rausrupfe? Ohne

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