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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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etwas zu regen, schwemmt hoch. Die Geschichte mit den Blumentöpfen …
    »Ah! Du erinnerst dich! Ich sehe es in deinen Augen! Fein. Dann wirst du dich auch erinnern, wie ich mit meinem Topf im Arm über den Flur gelaufen bin in den Raum, wo wir immer die Mäntel aufgehängt haben, schräg gegenüber vom Klassenraum. Erinnerst du dich an den Flur? Den grünen Linoleumboden, auf dem die Putzfrauen immer so komisches grünes Pulver verteilten, um es dann wieder zusammenzukehren? Na, egal. Du kamst mir hinterher. Ich hatte so meine Probleme, in den Mantel zu finden mit dem Topf im Arm, also habe ich ihn auf der Fensterbank abgestellt. Weißt du noch?«
    Ja, denkt Cora. Ja! Um Himmel willen, die war das also.
    »Und da gehst du doch tatsächlich hin und schnappst dir den Topf!« Frau Doktor schüttelt nachsichtig den Kopf. »Das war gar nicht nett, liebste Cora. Das war der Moment, der fällig war, daß ich mich nämlich endlich mal zur Wehr setzte. Ich hatte es einfach satt, mir deine kleinen Schäbigkeiten gefallen zu lassen. Es stand mir bis hier! Weißt du noch, wie ich versucht habe, den Topf aus deinen gierigen Klauen zu reißen? Ich hatte eine Sauwut, ich dachte, Cora, du Stück Scheiße, das kannst du mit mir nicht machen. Fast hätte ich ihn gehabt.«
    Ihre Züge verfinstern sich. Cora schließt die Augen. Sie muß die Augen schließen, weil die Müdigkeit immer schlimmer wird.
    »Aber dann«, hört sie Susannes Stimme weitersprechen, »bin ich irgendwie gestolpert und hab loslassen müssen. Du hattest ihn. Verdammt, du hättest ihn einfach mitnehmen können. Ich hatte ja mal wieder aufgegeben.«
    Sie macht eine Pause. Cora weiß, was kommt. Sie erinnert sich an jede Einzelheit.
    »Statt dessen hast du ihn mit beiden Händen gepackt und ausgeholt.«
    Cora sieht die Szene vor sich. Sie hört Susanne wie durch Watte weitersprechen.
    »Weißt du, erst dachte ich, ich hätte Stücke von dem Übertopf im Mund. Der Aufprall war so heftig. Ich dachte, der muß kaputtgegangen sein, so, wie du zugeschlagen hast. Ich hab die Stücke ausgespuckt, aber sie waren weiß und der Übertopf nicht. Es waren meine Zähne. Du hattest mir die Zähne ausgeschlagen. Einem neunjährigen Mädchen. Hinterher hast du behauptet, es sei ein Unfall gewesen, und alle haben dir geglaubt. Ich hätte den Topf vor mir hergetragen, hast du behauptet, wir wären zusammengestoßen, und dabei hätte ich mir das Ding selber reingerammt.«
    Susanne lacht. Es ist ein böses Lachen.
    »Du hast dann, glaube ich, die Schule gewechselt. Oder bist du sitzengeblieben? Jedenfalls, plötzlich warst du nicht mehr greifbar, und ich fand mich auf dem Gymnasium Kreuzgasse wieder. Mit guten Noten, aber ohne Schneidezähne. Der Hohn und Spott aller Jungen. Mit denen ging’s damals zur Sache, aber mir konnten sie ja keine Prothese verpassen, weil ich im Wachstum war. Scheint die Jungs nicht animiert zu haben. Es gab da so Spottnamen. Irgendwann hatte ich einen Freund, aber der lief dann auch wieder weg, weil ihn nun die anderen verspotteten, und das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Das war keine schöne Zeit, Cora. Überhaupt nicht. Verdammt, was hätte ich darum gegeben, eine Niete zu sein mit einem Zeugnis voller Fünfen und einem Arsch voller Prügel. Wenn ich nur die Jungs mal richtig hätte anstrahlen können.«
    Cora ist kurz davor, einzuschlafen.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich mir gewünscht habe, dich wiederzutreffen. Ich hab mir überlegt, was ich dann tue. Nette Sachen. Und als ich schon gar nicht mehr dran glaube, kommst du hier hereinspaziert. Findest du das nicht auch bemerkenswert, Cora? Eine Fügung des Schicksals? Daß ich jetzt die Möglichkeit habe, mich um die Gesundheit deiner Zähne zu kümmern, während du mir meine damals kaputtgeschlagen hast?«
    Aus Coras Brustkorb dringt ein Seufzen. Mehr bringt sie nicht zustande.
    »Ja, ich weiß, die Droge ist stark. Aber unschädlich, keine Angst. Ganz harmlos. Ich will ja nur, daß du nicht zu zappeln beginnst, wenn ich mich um dein Wohl bemühe.«
    Schwach formt sich in Cora der Wunsch nach Flucht.
    »Arme, arme Cora. Na schön. Ziehen wir dir also diesen Zahn. Nein, warte, laß mich noch mal schauen. Hm, hm, hm. Oh, au backe! Der daneben sieht auch nicht gut aus! Und vorne die ganze Reihe, überhaupt, alle deine Zähne – na, sag mal! Ob wir die drinlassen können, Cora? Ich meine, du bist Model. Du mußt gut aussehen.«
    Frau Doktor kichert, und Cora dämmert weg.
    »Brauchst

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