Keine Angst
zittern, kann die Rolle nicht mehr halten, taumelt entsetzt zurück. Der Teppich schlägt auf’s Straßenpflaster, rollt sich blitzschnell auf, gibt ihren verkrümmten, toten Körper frei, und Sevenig läßt ein würgendes Geräusch hören.
Über ihren Bauch kriecht quälend langsam und zuckend ein Etwas, zerdrückt, aber noch lebend, und es gibt dünne, spitze Schreie von sich. Jetzt klingen sie gar nicht mehr wie Stark oder Ja, einfach nur nach Schmerzen. Dünn, keifend, hoch.
Das Meerschweinchen. Er hat es versehentlich mit eingerollt. Das eine Mal war Stark nicht stark genug.
Dampf
7. März 1997
Keiner von denen hält mich wirklich für verrückt!
Sie bescheinigen mir einen streßbedingten Kollaps und geben mir winzige weiße Tabletten zu essen, nach denen man sich fühlt, als wandele man zehn Zentimeter über dem Erdboden. Hin und wieder scheint es ihnen geraten, mir am Beispiel anderer Studenten, die dem Examensdruck nicht standhielten, den kräftigenden Eindruck einer intakten Verwandtschaft aufzuzeigen. Verständige Mediziner sowie diverse Rezeptmengen Frisium 10 – das weiße Zeug! – hinzugezogen, sollen diese Unglücklichen wieder vollständig zu sich selbst zurückgefunden und summa cum laude promoviert haben, um fortan ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, frei von jeglichen Paroxysmen.
Ich weiß natürlich, daß sie mir Mut machen wollen. Das ist nobel von ihnen, bleibt aber ohne Resultat. Weder mangelt es mir an Mut noch an der Bereitschaft, ein ordentlicher Jurist zu werden. Was mir fehlt, ist der Boden der Tatsachen.
Ich kann Ihnen diesen Boden sogar beschreiben. Er ist gekachelt. Eine sauber verfugte Fläche. Sie betreten ihn, wenn sie Ihre Schritte in die Dampfsauna der Mauritius-therme lenken, eine urbane Oase mit kathartischen Einflüssen auf Geist und Muskulatur. Inzwischen erfreut sie sich wachsender Popularität. Noch vor einem Jahr konnte es geschehen, daß man die komplette Therme für sich allein hatte, speziell in der Stunde vor Mitternacht. Weil diese letzten sechzig Minuten im Leben eines Tages mehr Personal beschäftigten als Gäste anzutreffen waren, gelangte man allerdings bald zu der Einsicht, Dienstleistung mache keinen Sinn, wenn keiner da sei, um sie zu beanspruchen. Da ist was dran, volkswirtschaftlich gesehen. Heute schließt die Therme also um elf. Hätte sie das damals schon getan, wäre mir möglicherweise das eine oder andere erspart geblieben. Oder auch verborgen, wie man’s nimmt. Das Papier ist alle. Gleich ist Visite. Verzeihen Sie, daß ich mich so schnöde davonstehle, aber man wünscht mich zu konsultieren und in meinen Kopf zu gucken. Neugieriges Ärztepack!
8. März 1997
Jedenfalls, ein Jurastudium ist trocken.
Ich hatte also beschlossen, mich der Erzeugung von Feuchtigkeit zu widmen, mir die ständige Prüfungsangst aus den Poren zu schwitzen und mich auf einen Zustand einzupendeln, den Nicht-studierende als Gelassenheit bezeichnen. Ich sollte erwähnen, daß Studenten nie gelassen sind. Sie tun nur so. In Wirklichkeit grübeln sie unablässig über ihre Zukunft nach, jeder auf seine Weise. Die verkrachten Exemplare, deren Studium einer Endlosschleife zu ähneln beginnt, beklagen die Perspektivlosigkeit ihres Daseins und die sinkenden Fördergelder, treten obskuren politischen Vereinigungen bei und vertilgen größere Kontingente Bier. Die Fleißigen entsagen den geistigen Getränken und berauschen sich statt dessen an der ständigen Sorge betreffs anstehender Klausuren. Studentenpärchen vermeiden zudem jegliche Form von Sex, weil es sich schlecht bumst, wenn man nacheinander über den jeweiligen Standardwerken zusammengebrochen und eingeschlafen ist, was die Hoffnung auf einen ehrbaren Orgasmus gegen Null und die Stromrechnung in astronomische Höhen treibt.
Soviel zur Notwendigkeit eines entspannenden Saunaabends.
Keiner wollte mitgehen.
Studenten kennen Studenten, muß ich dazu anmerken, der circus Studiosi ist eine einzige Inzucht, innerhalb derer Scheine nicht nur gemacht werden, sondern vor allem jeder einen hat. Wir delektieren uns an Büchern, die kein lebensfroher Mensch je in die Hand nehmen würde. Wir gehen früh ins Bett, weil am nächsten Tag besagte Klausuren anstehen, wobei es in der Natur der Klausur zu liegen scheint, immer dann akut zu sein, wenn für den Vorabend Einladungen zu Orgien vorliegen. Wir vermeiden jede Art populärer Vergnügungen, weil wir ja lernen müssen. Getrieben von einem binären Horror – das
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