Keine E-Mail fuer Dich
Erregung gesucht, aber dadurch, dass dem Chatpartner mitgeteilt wird, »dass man ihn gerade rannimmt«, entsteht eine Form von virtueller Realität. Reagiert der andere inadäquat, bricht die »virtuelle sexuelle Realität« schnell zusammen und hinterlässt ein Gefühl von Kränkung und Enttäuschung. Zurückweisungen und Grenzverletzungen werden jedoch von den meisten als weniger kränkend empfunden als in der realen Welt. Das macht das »Cybern« so schön einfach. Scham und Schuld verlieren dort ihre hemmende Wirkung, denn man kann sich in diesen Räumen anders erleben, wie eine andere Person. In der Realität sprechen die meisten Menschen selten über ihre sexuellen Bedürfnisse und Wünsche. Beim »Cybern« ist die Sexualität jedoch von dieser Mitteilung abhängig. Im Chat können darum viele ungehemmt darüber sprechen, was ihnen in den Sinn kommt, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Die Sexualität im Internet ist schamlos, das wird vor allem in den Webcam-Portalen sichtbar. Im Netz scheint möglich, was in realen Räumen nicht gilt. Das wird von vielen als befreiend erlebt. Die in der Realität in der Sexualität verankerten Beschränkungen und Verbote werden überschritten. Die Sexualität im Internet ist pervers organisiert und vermittelt eine auf Wiederholung drängende Lust. Dort werden sexuelle Wünsche generiert, die auch die Sexualität in der realen Welt beeinflussen. Sie hinterlassen Spuren, die sich dann auch auf das reale sexuelle Handeln auswirken. Oft wird so getan, als ob sich der virtuelle Raum vom realen Raum klar abgrenzen lassen würde, als könne man das Geschehen im Internet wie eine Parallelgesellschaft betrachten. Dies ist aber nicht möglich, denn es ist kein körperloser Raum.
Die entstandenen Lifestyle-Sexualitäten (Neosexualitäten) sind vor allem durch mediale Verbreitung entstanden: ein bisschen bi, etwas SM , voyeuristisch oder exhibitionistisch sein, Fetischpartys oder auch mal in den Swinger-Club. Es wird suggeriert, es sei das Normalste der Welt, sich öffentlich auszuprobieren. Bei der Betrachtung solcher neosexueller Omnipräsenz kommt der »normale« Bürger in die Zwickmühle: Es wird ihm suggeriert, er sei vielleicht spießig, nicht offen, weil er nur mit einer Partnerin schläft und »Blümchensex« mag. Heute wird Sexualität oft von Liebe und Gefühlen abgespalten. Dies wird auch noch als Errungenschaft propagiert, doch diese Entwicklung ist traurig! Früher war erst die Liebe da, und dann kam der Sex. Heute kommt erst der Sex und dann vielleicht die Liebe. Jeder wünscht sich eine tiefe, intime Beziehung mit einem Partner oder einer Partnerin, aus Angst wird dies aber verleugnet und auf eine vermeintlich weniger gefährliche Variante verschoben: Sex als Freizeitgestaltung. Das Ergebnis ist Selbstentfremdung und Beziehungsunfähigkeit. Wir erleben einen großen medialen Wandel in den letzten 15 Jahren. Wir leben in einer Welt von enormer Sexualisierung. Alles wird sexualisiert und soll eine euphorische Wirkung entfalten. Es soll Leere füllen und Ängste bewältigen.
Männer nutzen das Internet zu unterschiedlichen sexuellen Zwecken. Die einen suchen Adressen von Prostituierten, um dort Termine zu machen, die anderen melden sich in Portalen an, erstellen eigene und prüfen fremde Profile, vergleichen, mailen hin und her, lassen Bilder freischalten, treffen sich in Chatrooms, verabreden sich dann zum Sex.
Und dann gibt es die Männer, die sich nachts heimlich aus dem Bett schleichen und es sich in ihrem Arbeitszimmer vor dem PC gemütlich machen. Männer, die auf verbale Demütigungen stehen und sich erniedrigen lassen, während sie gleichzeitig an Highheels schnüffeln und so zum Orgasmus kommen. So ein Typus hat durchaus auch Sex mit seiner Ehefrau, kann sich aber durch das Internet besser seines Fetischs bedienen. Andere leiden unter der Sucht nach immer neuen Bildern. Gerne würden sie mit ihrer Frau schlafen, wenn diese doch bei ihren Fantasien mitspielen würden.
Immer wieder gibt es im Internet etwas Neues zu entdecken, die Dynamik kommt nicht zum Stillstand. Selbst bei abnehmender Befriedigung wird trotzdem nach mehr von demselben gesucht. Aus dem dunklen Trieberleben wird oft ein nerviger entwürdigender Zwang. Dahinter verbirgt sich ein Defizit, das verhindert, mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten in Kontakt zu kommen. Durch das An- und Weiterklicken kommt man den eigenen Regungen überhaupt erst auf die Spur. Man kann dort so lange
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