Keine E-Mail fuer Dich
nur abends, wenn es dunkel ist, in meine Praxis. Er möchte von niemandem gesehen werden. Diskretion ist ihm sehr wichtig. Das Problem, das ihn zu mir führt: Er bestellt sich immer wieder Prostituierte, und er bittet mich, ihm zu helfen, damit aufzuhören. Es ist wie eine Sucht, wie ein Zwang. Das Internet sei für ihn wie ein Schlaraffenland, und er könne einfach nicht davon lassen. Es ist, als würde man sich seine Lieblingspizza in sein Hotelzimmer bestellen. Es ist so wunderbar einfach! Er müsse nicht extra rausgehen in einen Club und sich dort um Kontakt bemühen. Aufgrund der beruflichen Situation sei er ganz allein in der Stadt, nur am Wochenende würde er nach Düsseldorf zu seiner Frau fahren. Mit der habe er aber höchstens einmal im Jahr Geschlechtsverkehr, es fühle sich für ihn irgendwie merkwürdig an. Da sie dort ein schönes Haus haben, könnten sie nicht wegziehen. Kinder haben sie keine. Er habe sein Leben lang ein spießiges bürgerliches Leben geführt und immer das Gefühl gehabt, irgendetwas zu verpassen. Jetzt habe er eine ganz besondere Prostituierte kennengelernt, die er seit Wochen regelmäßig über das Internet bucht. Diese Ungarin habe ihm gezeigt, wie man kokst, und er habe seitdem das Gefühl, wenn er »drauf« ist, erstmals in seinem Leben klar und wach zu sein. Vor allem auf seinen langen Autobahnfahrten möchte er nicht mehr darauf verzichten. Er müsse schon zugeben, dass er sich auch etwas verliebt habe. Sie haben ihre Telefonnummern ausgetauscht, und vor ein paar Tagen hat er sich mit ihr abends heimlich in der Stadt getroffen. Dann hätten sie ihren Dealer und anschließend ihre Familie besucht. Diese wohnt zu sechst in einer Einzimmerwohnung. Der Anblick tat ihm leid, da hat er der Ungarin 1000 Euro geschenkt. Jetzt möchte sie einen Deutschkurs machen, und sie hat ihn deshalb noch mal um Geld gebeten. Er weiß nicht mehr, was er machen soll, er sei da zu tief in etwas reingeraten. Eigentlich wollte er sich nicht mit Randgruppen beschäftigen. Er habe nicht geahnt, dass hinter den bunten hübschen Bildchen im Internet solche Existenzen stecken.
An diesem Beispiel zeigt sich, wie Menschen sich gegenseitig über das Internet konsumieren. Die Ungarin bekommt Geld und Rudi körperliche Zuwendung. So etwas hat es schon immer gegeben. Durch das Internet ist dies nur noch viel einfacher geworden. Der »Markt« ist transparenter, es gibt mehr Wettbewerb, und »der Käufer« hat noch mehr Möglichkeiten zur Auswahl. Eine längere Kontaktanbahnung ist nicht mehr notwendig, und der Kunde kann seine eigenen Neurosen weiterpflegen. Rudi bricht den Kontakt zu der Prostituierten komplett ab, aber das Koksen möchte er erst einmal noch beibehalten. In der Therapie setzt er sich nun sehr motiviert mit seinen Ängsten auseinander.
In Deutschland gibt es über 400 000 sexuelle »Dienstleister«, täglich werden bis zu 1,5 Millionen Kunden bedient und bis zu 15 Milliarden Euro Umsatz gemacht, Tendenz steigend.
Anja, 39 Jahre alt, war Prostituierte auf der berühmt-berüchtigten Oranienburger Straße und »zieht« jetzt als Webcam-Domina im Internet Freier »ab«. Schon als Kind hatte sie vom großen Geld geträumt. Auf der Straße hatte sie gut verdient, sie hatte schnell gelernt, wie man Männern Versprechungen macht. Als sie sich vor Jahren von ihrem Freund bzw. Zuhälter trennte, hatte sie bereits eine Menge Geld »beiseitegeschafft«. Sie sehnte sich nach einem normalen Leben, weit weg von hohen Stiefeln und Extensions. Sie eröffnete ein Café, das aber kurze Zeit später pleiteging. Sie kehrte ins sexuelle Dienstgewerbe zurück und suchte nach anderen Möglichkeiten als die Straße. Als »Dark Lady« in Lack und Leder kassiert sie nun im Internet ab. Sie wundere sich immer wieder, wie dumm Männer sind. Es sei so einfach, denen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Sie spürt ihre eigene Einsamkeit, aber auch die ihres Gegenübers beim Chatten. Sie empfindet Mitleid, aber für sie geht es hauptsächlich ums Geschäft. Durch ihre Arbeit fühlt sie sich sozial isoliert, Freunde haben sich abgewendet. Ihre Familie weiß über ihren Beruf Bescheid, es wird geduldet und nicht darüber gesprochen. Sie leidet unter Angst- und Panikattacken und sehnt sich nach einem Partner an ihrer Seite. Sie hatte sich über Jahre sehnlichst ein Kind gewünscht, doch nun hat sie diese Wunschvorstellung aufgrund ihres Alters begraben. Sie empfindet eine gewisse Sinnlosigkeit in ihrem Leben und weiß nichts mit
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