Keine Frage des Geschmacks
sie dir bloß angetan?« Sie wollte ihre Mutter umarmen, doch die riss bloß die Augen auf. Candace verstand. Keine Berührungen, Angst vor Schmerzen. Sie zog einen Stuhl heran und umklammerte ihre Hand. Ein mattes Lächeln umspielte Miriams Mundwinkel. Sprechen konnte sie nicht, doch ihre Augen bohrten sich in die ihrer Tochter. Der Monitor zeigte einen leicht erhöhten Herzschlag an.
Candace wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, Miriam war rasch wieder eingeschlafen. Irgendwann erhob sich die junge Frau und trat auf den Flur hinaus. Sie fragte den Wachposten nach dem Ärztezimmer. Eine dunkelhaarige Frau Ende dreißig, um deren Hals an einer Kordel eine Brille baumelte, fragte sie nach ihrem Anliegen. Dann bat sie Candace herein und sich auszuweisen.
»Sie hatte einen riesigen Schutzengel«, sagte die Ärztin und öffnete einen Aktendeckel. »Ihre Mutter hat sehr viel Glück gehabt. Danken Sie Gott.«
»Was hat sie? Wie steht es um sie?«
Die Ärztin schaute sie milde an und warf schließlich einen Blick in die Papiere. »Ein Kollege hat sie operiert. Der Eingriff ist gut verlaufen.«
»Ich bitte Sie, was hat meine Mutter wirklich?«, fragte Candace jetzt ungehalten. »Ich habe ein Recht, es zu erfahren. Ich bin ihre einzige Angehörige. Und ich bin schließlich kein Kind. Sagen Sie es mir.« Dann beruhigte sie sich wieder. »Bitte«, ergänzte sie leise.
»Nun gut«, die Ärztin nahm ein Blatt heraus. »Jemand hat versucht, ihr die Kehle durchzuschneiden, und um ein Haar hätte er es geschafft. Es ist mir ein Rätsel, weshalb nicht. Vermutlich wurde er gestört. Er hat ihre Luftröhre erwischt, den Kehlkopf gequetscht, ferner hat sie Blutergüsse und Hämatome am ganzen Leib und vor allem am Kopf. Aber sie wird alles überstehen. Es geht ihr den Umständen entsprechendgut, sie hat eine gute Konstitution, doch braucht sie jetzt viel Ruhe. Sie werden sehen, in ein paar Tagen schon hat sich ihre Mutter spürbar erholt. Zunächst wird sie künstlich ernährt, sie bekommt die nötigen Infusionen. Die Operationswunden müssen verheilen. Und sprechen darf sie auch nicht. Und noch etwas«, die Ärztin legte das Blatt in die Akte zurück, setzte ihre Lesebrille ab und schaute die junge Frau streng an, »jede Form von Aufregung sollte ihr unbedingt erspart werden.«
Candace nickte stumm.
Die Ärztin warf einen Blick auf die Uhr und erhob sich. »Sie werden mich jetzt sicher noch danach fragen, wann ihre Mutter entlassen wird. Nun, ich weiß es nicht.«
Als Candace das Krankenzimmer wieder betrat, staunte sie. Ein dürrer hochgewachsener alter Mann, dessen riesiger Kopf auf einen anderen Körper zu gehören schien, stand über ihre Mutter gebeugt neben dem Bett. Er hatte die Decke zurückgeschlagen und betrachtete ihren Körper. Mit ruhiger Stimme redete er zu Miriam, die ihn lediglich anstarrte.
»Wer sind Sie?«, fragte Candace barsch und raste auf ihn zu.
Er hob lediglich die linke Hand, ohne sie anzusehen. Ganz ruhig schloss der Alte das Patientenhemd ihrer Mutter und legte die Decke wieder auf ihren Körper.
»Was tun Sie hier?«, rief Candace und fasste ihn am Kragen.
»Ich bin Gerichtsmediziner. Dottor Galvano.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er die junge Frau ansah, die fast so groß war wie er. »Und Sie?«
»Candace Eliott. Ich bin ihre Tochter.« Sie schaute ihn herausfordernd an. Der Mann musste weit über achtzig sein.
»Ich habe mir lediglich die Verletzungen angesehen, young Lady! Solange sie frisch sind. Das ist meine Arbeit.«
»Werden Gerichtsmediziner in Triest nie pensioniert?«
Der Alte stutzte einen Augenblick, sein Blick flackerte,dann räusperte er sich. »Ihre Mutter ist eine schöne Frau. Sie hat viel Glück gehabt.«
»Das hat mir bereits die Stationsärztin gesagt. Und in ihrer Krankenakte befinden sich auch die Fotografien ihrer Verletzungen. Haben Sie die etwa auch gemacht?«
»Dafür ist ein Kollege zuständig. Fotos ersetzen nicht den Augenschein.«
»Wo kann ich Sie erreichen?« Candace verstellte ihm den Weg.
»Fragen Sie den Beamten vor der Tür oder erkundigen Sie sich in der Questura nach mir. Die wissen, wer ich bin. Fragen Sie nach Galvano, Dottor Galvano.«
Es dauerte lange, bis Candace das leichte Trommeln von Miriams Fingern auf ihrem Handrücken verstand. »Du willst etwas schreiben?«, flüsterte sie.
Miriam zwinkerte mit den Lidern.
»Ich hol Papier und Stift.«
Miriam schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.
»Was
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