Keine Frage des Geschmacks
Spätschichthinter sich und danach gerade mal drei Stunden geschlafen hatte. Die Inspektorin hatte die Bilder beim Kriminaltechniker abgeholt und sie an ihrem Computer mit Miriam Natisones Angaben verglichen. Es gab keinen Zweifel.
»Ich komme mit«, ordnete die Staatsanwältin an. »In einer halben Stunde treffen wir uns vor dem Haupteingang. Um fünfzehn Uhr genau. Reicht Ihnen die Zeit zur Vorbereitung?«
»Marietta, Rollkommando. Gleich. Veranlasse alles, und noch etwas: Wir gehen zu Fuß!«, rief Laurenti in sein Vorzimmer, kaum dass er aufgelegt hatte.
Während er seine Waffe aus der Schublade nahm und das Magazin einlegte, warf er aus dem Fenster seines Büros einen Blick auf das Hochhaus gegenüber, zu dessen Füßen im Teatro Romano vor zwei Tagen eine Szene für den Fernsehkrimi gedreht worden war.
»Was hat das Verhör der drei Männer der Bürgerwehr ergeben?«, fragte Laurenti die Inspektorin.
»Einfach war es nicht, den Anführer weichzukochen. Marietta hat die Sanfte, die Mütterliche gespielt und mir gute Vorlagen geliefert. Auf jeden Fall waren die Typen ziemlich von den Socken, dass Sie so schnell zur Stelle waren, Chef. Als sie die Sirene hörten, waren sie der Überzeugung, dass es sich um eine Filmszene handeln würde. Sie stritten gerade darüber, was zu unternehmen sei. Noch nicht einmal eine Ambulanz hatten diese Idioten verständigt. Die dachten, sie kämen davon, wenn sie behaupten würden, die beiden Opfer so aufgefunden zu haben. Hätten Sie den Blutfleck am Jackenärmel des Anführers nicht gesehen, Commissario, wären ihre Chancen nicht einmal schlecht gewesen. Ihre Oberbekleidung ist auf dem Weg nach Padua zur Analyse. Erst als die Kriminaltechnik auch den Dreck unter seinen Fingernägeln sicherte, gab ihr Boss ein wenig nach. Er behauptete plötzlich, Alberto habe sie angegriffen und versucht abzuhauen.Darin stimmten dann alle ihre Aussagen überein. Die haben sich hundertprozentig abgesprochen, Zeit dazu hatten sie genug, bevor ich sie in die Finger kriegte. Weiter bin ich noch nicht gekommen. Ich muss die Aussagen erst noch einmal lesen und die Widersprüche herausarbeiten. Details. Sobald Marietta alles transkribiert hat. Beim nächsten Verhör krieg ich die Typen dran.«
»Und wo sind sie jetzt?«
»Eingelocht natürlich. Separat. Alle drei haben Pflichtverteidiger akzeptiert. Einer faselte etwas von Herzrhythmusstörungen und verlangte den Amtsarzt.«
»Ach herrje, Herzprobleme, aber nachts Streife laufen und sich wichtig machen. Ein erbärmlicher Versuch davonzukommen.«
»Besonders intelligent ist keiner von denen.«
»Gehen wir«, sagte Laurenti und steckte die Pistole ins Holster.
*
Mit maximal gerefften Segeln krängte die »Greta Garbo« im steifen Wind, der behäbige alte Zweimaster durchschnitt die Wellen als hätte er eine Verjüngungskur hinter sich. Vom tiefen Blau hatte die Farbe des Meeres in Graugrün gewechselt, als sich vor einer Stunde die düstere Wolkenwand immer weiter nach Osten schob und die Sonne nicht mehr durchdringen ließ. Weißer Schaum von den brechenden Wellenköpfen wehte wie Seidenvorhänge übers Wasser und fegte über das Deck. Der Wind hatte Stärke sieben erreicht und würde weiter zulegen. Der kleine Mann am Ruder, dessen welkes Haar unter dem Baseballkäppi hervorwehte, grinste vor Vergnügen, obwohl er wusste, dass er bald den Diesel anwerfen musste und die automatische Winsch, um die Segel einzuholen. Die Gefahr war zu groß, dass Vittoria über Bordging, die leeseitig kotzend über der Bordwand hing. Ein alter Seebär wie er genoss den Sturm mehr als den schönsten Sommertag mit frischer Brise, und das Schiff trotzte jedem Wetter. Die Po-Mündung hatten sie seit einer halben Stunde hinter sich, und Lele sah die Blitze über den Touristensilos der Lidi Ferraresi. Raffaele Raccaro setzten im Unterschied zu seiner Begleiterin lange Törns bei hartem Wetter nicht zu. Je schärfer der Wind ihm um die Ohren pfiff, desto besser wurde seine Laune. Der Donner grollte und übertönte beizeiten das Windgetöse. Bis Rimini waren es noch fünfundvierzig Seemeilen, dort wollte er am Spätnachmittag in der Marina festmachen, und ein Chauffeur des Finanzinstituts in der Republik San Marino würde ihn abholen. Der Inhalt des Aktenkoffers, den er an Bord gebracht und in einen Schrank eingeschlossen hatte, musste angelegt werden.
Vittoria ging es im Moment etwas besser, doch ihren Platz hatte sie nicht verlassen, sich lediglich hingesetzt
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