Keine Frage des Geschmacks
auflehnte. Am Ende erhielt sie das Versprechen, dass sie in der Questura die Daten auf ihren Laptop überspielen dürfte, um sie zu lesen. In der Abteilung sprach nur der Kollege Battinelli gut Englisch, und der war ausgerechnet an diesem Samstag nicht da. Doch rasches Handeln war nötig, und Candace könnte eine große Hilfe sein.
Pina Cardareto hatte Augen gemacht, als sie die schicken Räume und den atemberaubenden Blick über Hafen, Stadt, und Meer erfasste. Beton, Zement, Edelstahl und jede Menge Glas. Mit ihrem Gehalt würde sie niemals in den Genuss einer solchen Bleibe kommen, dachte sie einen Augenblick lang. Dazu müsste sie schon den Notar ehelichen, mit dem sie sich seit etwas mehr als einem Monat gelegentlich traf. Doch der war verheiratet und Vater zweier Kinder. Der gut aussehende Mann hatte eines Abends am Nebentisch gesessenund sie angesprochen, als Pina im Capriccio allein eine Pizza verschlang. Dieses Lokal an der Piazza Libertà gegenüber dem Hauptbahnhof suchte sie oft nach ihrem Kampfsporttraining auf, sie hielt die Pizza hier für eine der besten der ganzen Stadt. Sie hatte sich zwar darüber gewundert, dass Roberto Piccardi wusste, dass sie bei der Kriminalpolizei arbeitete, doch dann hatte er von seinem Urlaub in Kalabrien erzählt. Er kannte die Region wirklich gut und auch Africò an der Costa dei Gelsomini, Pinas Geburtsort, wo ihre Mutter eine Apotheke betrieb. Tags darauf hatte der Mann sie angerufen und zu einem Aperitif in Le Bollicine eingeladen, in der Via Rossini nahe dem Canal Grande. Und Pina hatte ihm zuliebe sogar Champagner getrunken, obwohl sie lieber Bier mochte. Als Roberto Piccardi sie nach Hause brachte, strahlte er beim Anblick ihrer Zweizimmerwohnung in der Via Lazaretto Vecchio. Sie erinnere ihn an seine Studentenjahre, die glücklichste Zeit seines Lebens. Pina schüttelte die Gedanken ab, lange würde diese Affäre sowieso nicht dauern. Der Mann war zwar sehr charmant, doch fragte er sie viel zu häufig danach, was sich in der Questura tat.
Candace hatte sich, nägelkauend vor Anspannung, auf der Terrasse umgesehen, wo neben einem Liegestuhl ein halbleeres Wasserglas stand, ein Verlängerungskabel und in einem Aschenbecher der Stummel eines Joints lagen, den sie unauffällig in den Garten schnipste. Candace war sich sicher: Hier musste ihre Mutter letzte Nacht gesessen und ihre Nachricht an sie und Jeremy Jones verfasst haben.
»Kann ich hier übernachten?«, fragte sie die Inspektorin.
»Wenn’s der Chef erlaubt, habe ich nichts dagegen, Signorina. Aber ich muss ihn erst fragen.«
»Wer ist Ihr Chef?«
»Ein Commissario. Er ist es, der ihre Mutter heute früh im Park gefunden hat. Zusammen mit diesem Alberto.«
»Und haben Sie auch seine Kamera gefunden?«, fragteCandace. »Im letzten Mail schrieb meine Mutter, dass er sie heute früh zurückgeben und dafür fünfhundert Euro erhalten sollte. Danach wollte er den Kontakt zu ihr abbrechen. Ihm war mulmig, er wollte nicht mehr mit ihr gesehen werden. Vor was er Angst hatte, hat sie leider nicht erwähnt.«
»Ich bin mir sicher, dass die Bilder auf meinem Schreibtisch liegen, sobald wir in die Questura zurückkommen.«
»Ich will aber zu meiner Mutter. Und zwar gleich.«
Pina bat die beiden uniformierten Kollegen, sie am Polizeipräsidium abzusetzen und die junge Frau anschließend zur Universitätsklinik zu bringen, sie dort bis zum Zimmer ihrer Mutter zu geleiten und dem Kollegen vor der Tür Bescheid zu sagen, damit er sie passieren ließ. Zurück müsste sie alleine finden. Pina würde sie im Büro erwarten.
»Eine Wache vor der Tür?«, fragte Candace.
»Anordnung des Commissarios. Solange wir uns über den Täter nicht hundertprozentig sicher sind«, sagte die Inspektorin und konnte ein tiefes Gähnen nicht mehr unterdrücken.
*
»Ich brauche dringend einen Durchsuchungsbefehl, Dottoressa. Auch die Aufzeichnungen der Überwachungskamera vor dem Torbogen zum Schlosspark zeigen klar lesbar das Kennzeichen der weißen Malagutti. Der Verdächtige hat es kurz nach fünf an diesem Morgen durchfahren«, rief Laurenti ins Telefon, noch bevor er alle Fotos durchgesehen hatte, die auf seinem Tisch lagen. »Aurelio Selva, Via Donata 1, vierzehnter Stock.« Es bedurfte nicht vieler Worte, um Iva Volpini von der Dringlichkeit zu überzeugen.
Pina Cardareto stand mit einem Espresso in der Hand, den Marietta ihr zubereitet hatte, neben dem Chef. Marietta war ungewohnt nachsichtig mit Pina, die eine
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