Keine Frage des Geschmacks
Kraftstation stand nahe dem Fenster, durch das die Sonnenstrahlen fielen und ein helles Viereck auf den Linoleumboden zeichneten. Die Streckbank diente als Sitzgelegenheit vor dem Tisch, auf dem sich neben einer Küchenwaage und einem Einschweißgerät Verpackungsmaterial häufte. Ein Stapel Lieferscheine samt Adressaufklebern lag daneben. Und auf dem Boden stapelten sich nach Bestimmungsländern geordnet versandfertige Päckchen. Der Absender war eine Adresse im slowenischen Koper, nur zehn Kilometer von Triest entfernt. Pina deutete auf die einzig freie Wand des Raumes, an der ein paar geöffnete Säcke Rohkaffee an drei Holzfässern lehnten. »Jamaica Blue Montain« stand auf dem obersten.
»Nicht schlecht«, sagte Laurenti und holte tief Luft. »Lust auf Kaffee?«, fragte er dann die Staatsanwältin. »Ich fürchte, jetzt brauchen wir doch ein Fahrzeug. Und zuvor den Fotografen und die Kriminaltechniker. Nicola Zadar wird sich freuen, wenn er die Ware irgendwann zurückbekommt.«
Die Staatsanwältin schaute ihn fragend an.
»Diese Sache liegt bei einem Ihrer Kollegen, Dottoressa. Vor ein paar Tagen wurde in die Geschäftsräume eines Importeurs eingebrochen und sehr seltene Ware gestohlen. Der hier zum Beispiel«, Laurenti deutete auf die beiden Säcke mit Kopi Luwak, »der hier fermentiert im Magen einer asiatischen Schleichkatze und wird mit dem Kot ausgeschieden. Das sieht dann aus wie ein Müsliriegel. Der Kaffee, der daraus zubereitet wird, ist das teuerste Getränk der Welt.«
Iva Volpini schaute, als hätte der Commissario sie auf den Arm genommen.
»Schmeckt sehr intensiv nach Regenwald«, ergänzte er und wählte Mariettas Nummer. »Schick uns die Spurensicherung rüber. Und einen Lieferwagen.«
»Habt ihr ihn?«
»Nein, aber ich vermute, wir werden demnächst eine schöne Spende bekommen. Kaffee fürs Büro. Den ersten Fall haben wir schon einmal gelöst.«
Aus dem Treppenhaus hörten sie plötzlich Schreie und heftiges Gerangel. Pina stürzte hinaus. Mit einem blitzschnell ausgeführten Schlag streckte sie den wasserstoffblonden Mann nieder, der den uniformierten Kollegen im Würgegriff hielt. Er fiel zu Boden wie ein Sack, und bevor er zu sich kam, befand er sich in Handschellen. Die Inspektorin ließ ihn am Boden liegen, er drehte sich unter Mühen auf die Seite und beobachtete die Polizisten wortlos.
»Danke«, sagte der Uniformierte und rieb sich den Hals. »Er hat mich überrascht.«
»Signor Selva, beinahe hätte ich Sie nicht erkannt«, sagte Laurenti. »Sie müssen eine berühmte Persönlichkeit sein.«
»Ich versteh kein Wort.« Aurelio glotzte ihn verstört an.
Eine dicke Strähne seines von viel Gel gehaltenen wasserstoffblonden Haares gab an der Schläfe eine stark gerötete und leicht mit Blut verkrustete Stelle frei, die nicht von Pinas Schlag stammte. Die großen bernsteinfarbenen Augen wirkten merkwürdig leer, sein Blick war auf die Wand geheftet. Auf seinem Oberarm prangte die Tätowierung eines schnaubenden Stiers. Aurelio schüttelte den Kopf, als könnte er nicht fassen, was ihm widerfahren war. Dann rutschte er wegen der auf den Rücken gefesselten Hände unbeholfen zur Wand und versuchte sich aufzusetzen.
»Ganz schön lästig, wie die Paparazzi ständig hinter euch Prominenten her sind, oder nicht? Unglaublich, was man mit Fotos heutzutage alles machen kann.«
Die Staatsanwältin bückte sich und betrachtete den Mannim Halbprofil, der eine massivgoldene Kette um den Hals trug, an der ein pflaumengroßer Feueropal baumelte. »Sogar bis in den ›Independent‹ hat er es gebracht. Wirklich berühmt.«
»Wenn wir mit der Sache durch sind, bitte ich Sie sicher um ein Autogramm.« Laurenti grinste hämisch.
»Unter sein Geständnis, Commissario. Bringen Sie ihn weg.«
»Ich möchte meinen Anwalt sprechen«, protestierte Aurelio.
Auf der Schwelle zu dem Appartement, aus dem er nichtsahnend herausgekommen war und an dessen Eingang die Initialen R. R. standen, lehnte eine Aktentasche und blockierte die Tür.
»Was meinen Sie, Staatsanwältin?«, fragte Laurenti. »Befindet die Tasche sich in der Wohnung oder draußen auf dem Flur?«
»Sie steht im Treppenhaus, Laurenti. Sehen Sie das etwa nicht?«
*
Raccaros Faust hatte sich fest um den Griff seines Aktenkoffers geschlossen, als er an Land ging, nachdem er die »Greta Garbo« wie befohlen unter den überdachten Anleger vor der Station der Küstenwache manövriert hatte und Vittoria die Leinen einem
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